Knipseritis, fortgeschrittene

Tanz ins Ungewisse

Am 15.11.20, einem wunderschönen Spätherbsttag, traf ich mich mit Silvan Ruprecht in Nürnberg an zwei seiner Lieblingsorte. Wir kannten uns schon von einem gemeinsamen Fotoprojekt in meinem Fotostudio in Bayreuth ein paar Jahre zuvor und hatten immer vorgehabt, ein weiteres Shoot in einer Outdoorlocation durchzuführen. Dann fragte ich ihn kürzlich, ob er mir bei der Gelegenheit nicht auch von seinen Überlebensstrategien in der Coronazeit erzählen wollte. Und er wollte!

Pam
Hallo Silvan, du bist Tänzer in Nürnberg und du hast  natürlich auch in der Coronazeit viel an Umbruch erlebt, es hat sich viel verändert, erzähl mal, wie ist es dir in den letzten 6 Monaten ergangen?

Silvan
Die Coronazeit war für mich am Anfang ein ganz großer Schlag. Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte, es hat mich zutiefst getroffen. Mein Leben wurde von 100 auf komplett 0 heruntergefahren. Ich möchte eigentlich nicht emotional sein, aber in den ersten paar Tagen gemerkt, es muss eine Lösung her, ich habe sogar Tränen vergossen, weil mir wurde meine Leidenschaft, mein Dasein als Tänzer und als Tanzlehrer auf einmal genommen und es war keine Möglichkeit da, auf die Bühne zu gehen oder zu unterrichten. Erst später kam nach und nach technische Möglichkeiten, online Kurse zu geben.

Pam
Wie kann das funktionieren?

Silvan
Wie geht das? Online und Live-Übertragung über soziale Netzwerke und Medien, die wir nutzen. Es ist ein Bestandteil unseres Lebens und unserer Arbeit geworden, wir bestellen übers Internet, schauen Streams übers Internet und jetzt kann man auch Sport bzw. Tanzkurse übers Internet machen.

Pam
Jetzt geht es auf einmal … vorher konnte man sich das nie vorstellen

Silvan
Richtig, ja. Klar, es ist natürlich wichtig, dass man sich aus dem Nichts ein technisches Equipment zulegt, was natürlich wie bei den anderen Künstlern, wie Fotografen oder Maler, die vielleicht auch auf digital umsteigen auch ein zusätzlicher Aufwand ist, es zu beschaffen und sich einzuarbeiten. Wir müssen einen anderen Regler nach oben bringen und da uns jetzt weiterentwickeln, unseren Horizont erweitern, was ist möglich und fächerübergreifend auch über verschiedene Medien zusammenzuarbeiten.

Pam
Hast du eine Überbrückung bekommen? Der bayerische Staat hat auch für Soloselbstständige Gelder zur Verfügung gestellt.

Silvan
Ich habe einen Antrag gestellt, habe aber leider nie etwas bekommen.

Pam
Das Problem ist auch, dass man es nicht fürs Leben, für Essen und für die Miete verwenden darf, sondern nur für Betriebskosten verwenden darf, aber als Tänzer hat man ja kaum Betriebskosten.

Silvan
Das soll sich ja jetzt für Soloselbstständige ändern. Die Frage ist, ich traue der ganzen Geschichte nicht, dass es mit Zurückzahlung verbunden ist. Ich habe Gottseidank viel Unterstützung von Familie, Schülern und meinen Kollegen erfahren, die mich emotional, aber auch mit Rat und Tat unterstützen, Hilfe bei Technischem, Foto und Video bekommen.

 

Das sind Lichtblicke in der düsteren Stimmung und helfen, die Angst zu durchbrechen. Es geht darum, dass man sich sammelt, konzentriert, dass man einfach auf andere Art und Weise sein Geschäft, sein Dasein voranbringt. Man weiß nicht wohin die Reise hingeht, man probiert was, entwickelt was und man hält zusammen.

Pam
Hast du den Eindruck, dass du aus dieser Krise, aus diesem Umbruch in deinem Leben etwas gewinnen kannst?

Silvan
Ja, natürlich. Wie die erste Welle kam, wie der erste Lockdown im März war, hatte ich Gottseidank auch die Zeit zu reflektieren, wie weit bin ich gekommen, was sind meine Wünsche, was sind meine Bedürfnisse, in mich zu schauen und zu sagen, wo möchte gerne ich im nächsten Jahr stehen, was kann ich für mich tun, was kann ich für meinen Körper tun. Wo kann ich zusagen, oder vielleicht wo auch mehr nein sagen vielleicht, konzentrierter in gewissen Projekten sein. Mich sammeln …

Pam
… stärker selektieren, auswählen. Ich sage das deswegen weil es mir genauso gegangen ist. Ich habe einfach Sachen aufgegeben, wo ich sage, eigentlich brauche ich die nicht. Die behindern mich eher.

Silvan
Wir leben mit dem Unwichtigen, weil wir dran gewöhnt sind. Plötzlich bricht vieles weg und man sortiert, man schaut genauer hin, schaut zwischen die Zeilen und man merkt, man braucht es nicht, kann es weglassen, es macht nur Unruhe in Körper und Geist und bringt einen nicht voran. Wenn man das realisiert, das ist wie ein Befreiungsschlag und man denkt sich, es geht auch so. Man kommt zur Ruhe und zu einem neuen Selbstbewusstsein, weil man doch was geschafft hat trotz Lockdown, man hat mental gearbeitet, etwas für sich gemacht und das sind Stärken, die man entwickeln kann in dieser Zeit. Man muss dran bleiben, ein Ziel, eine Vision haben, dann wird es positiv und man kann in diese Richtung weitergehen.

Pam
Wenn man eine Krise überwunden hat, dann stärkt das dich?

Silvan
Definitiv. Weil man weiß, wo man steht, wenn man 3 oder 4 Monate überstanden hat, dann weiß man, beim nächsten Lockdown, was kann ich optimieren, was kann ich machen und  von den vielen neuen Ideen umsetzen, die ich vorher aufgeschrieben hatte. Man muss nicht Risikos eingehen, aber schauen, was bringt mich meinem Ziel näher. Oder stecke ich mir andere Ziele, gehe in andere Richtungen. Das bleibt spannend, was diese Entwicklung mit sich bringt.

Pam
Tänzer sein ist eine temporäre Sache. Irgendwann  ist das Alter da, wo man andere Dinge tun muss. Einen Plan B muss man in diesem Beruf entwickeln.

Silvan
Ja, nach einem gewissen Punkt kommt das. Entweder man bespricht man mit guten Freunden oder dem Partner zusammen, was ist der Plan B, was liegt einem, welche Stärken habe ich. Das ist wie in einem Bewerbungsgespräch, sich die gleichen Fragen stellen, wo will ich hin, wenn die Tänzerkarriere auf der Bühne abgeschlossen ist. Man kann zwar noch ziemlich lange noch tanzen in kleineren, modernen oder abstrakten Projekten auf der Bühne stehen. Man muss abwägen, möchte ich das weiterhin haben oder werde ich nur hinter der Bühne stehen, inszenieren, choreographieren. Ist das mein nächstes Ziel. Viele Tänzer gehen diesen Weg und machen ihre eigenen Choreographien und Videoprojekte. So kommt man auch irgendwann in Kontakt, schaut dem anderen über die Schulter, lernt voneinander und bereichert sich gegenseitig. Das kann wieder ganz neue tolle Impulse und Zusammenarbeit bringen.

Pam
Du hast mir erzählt, ihr arbeitet an einem Projekt, einer Aufführung in der Konzerthalle in Bamberg.

Silvan
Das nächste Tanzstück im April heißt „Die vier Elemente“, choreographiert von Melanie Day. Sie hat mit uns das Ensemble die MDance Company gegründet und wir hatten schon in 2019 eine Premiere: „Tango Nights“. Es wird noch größer, spannender, noch mystischer und erlebnisreicher 

Pam
Ich bin auf jeden Fall dabei. Ich komme unbedingt nach Bamberg und schaue mir das an.

Hat sich schon jemand Gedanken gemacht über ein Hygienekonzept? Oder kannst du das abgeben, dass du dich als Tänzer nicht auf sowas konzentrieren musst

Silvan
Wir als Tänzer sind tatsächlich nur dafür da, unsere Show zu machen und ich glaube, nur die Stadt Bamberg muss ein Konzept präsentieren und sich das von München absegnen lassen.

Pam
Die Konzerthalle ist ja ein ganz modernes Gebäude mit Abluft- und Klimatechnik. Riesig, da dürfte es kein Problem mit Abstand und Einbahnstraßen für Ein- und Ausgänge geben.

Silvan
Man hat Luft und Platz dort, das Ganze so gut umzusetzen, dass wirklich nichts in Frage gestellt wird.

Pam
Du hast gesagt, es war sehr emotional für dich, als du gemerkt hast, hier kommt ein Lockdown, das Leben wird angehalten, man wird sozusagen zwangsentschleunigt.

Silvan
Man wird gezwungen, das war das Schlimme, weil man es selber nicht verhindern konnte. Man ist ja bereit, zu arbeiten, etwas zu leisten. Wie heißt es so schön, ich hatte mein Hobby zum Beruf gemacht und ich konnte mir nicht vorstellen, auf einmal nichts mehr zu machen und mir war schnell klar, ich muss meine eigenen Kurse online geben und mithilfe meiner tollen Kollegen, denen ich 1000mal dankbar bin, dass sie mich mit Werbung, Flyer und Videos unterstützt haben. Auch im zweiten Lockdown findet das wieder statt. Ich mache bei meinen eigenen Kursen alles auf Spendenbasis. Ich verlange kein Geld, weil ich weiß, wie das ist, wenn man Miete zahlen muss, aber auch noch Sport machen möchte, sich das aber nicht leisten kann. Ich biete das auch für 0 Euro, oder wenn jemand 5 Euro geben kann, an. Ich freue mich, wenn ich jemandem eine Freude machen kann.

Pam
Super! Findest du den zweiten Lockdown nicht so schlimm wie den ersten?

Silvan
Er ist nicht mehr so schlimm, denn ich weiß jetzt was mich erwartet, kann mich schneller anpassen und agieren.

Pam
Wie ist momentan der Probenalltag möglich?

Silvan
Gar nicht. Das lässt die Regierung nicht zu. Erst wenn der Inzidenzwert auf 50 fällt, dann können wir wieder proben. Da müssen wir aber abwarten, wie die Stadt Nürnberg entscheidet.

Pam
Könnt ihr eure Rollen einzeln einstudieren oder über Zoom kommunizieren?

Silvan
Die Proben beginnen erst im nächsten Jahr. Wir haben auch Gäste da, die nicht aus Nürnberg sind, die können nicht 3 oder 4 Monate  hier bleiben, die Probezeit  muss daher komprimiert werden Sonst streckt sich das noch länger und es ist mit Kosten verbunden.

Pam
Ihr müsst ja eine Location haben, wo ihr proben könnt. Wo kommt die Musik her?

Silvan
Es gibt kein Live-Orchester, das würde noch mehr kosten. Die Songs kommen aus der Konserve. Leider können wir uns das nicht leisten wie beim Musical oder Staatstheater. So groß sind wir nicht. Das wäre ein Traum, aber das ist leider nicht möglich. Das muss vom CD-Player abgespielt werden.

Pam
Silvan, ich danke dir für das Interview!

Wenn ihr Silvan und sein Tanzprojekt unterstützen wollt, dann könnt ihr das hier tun:
https://www.startnext.com/en/die4elemente?fbclid=IwAR3momCa1RyNq4_fh8EyKUlrF8coqreWS5IvkTNugnbifN_rVdpa-CcAbyc

Hier könnt ihr zu Silvan Kontakt aufnehmen:
https://www.facebook.com/silvan.ruprecht

Hier die Webseite von Melanie Day mit der MDance Company:
https://de.mdancecompany.de

Fotografierst du noch oder knipst du schon?

In vielen Diskussionen in Internetforen geht es immer wieder um die Frage, ob man eine spezielle Kamera braucht, um gute Bilder zu machen oder ob man Workshops besuchen sollte, z.B. für Bildkomposition oder entfesseltes Blitzen. Alles konzentriert sich auf Ausrüstung und die nötigen Skills, sie zu bedienen. Halt das übliche Palaver zwischen fotografierenden Nerds.

Ganz selten verirrt sich ein Fotografiestudent in solche Threads und stört die heile Welt mit Bildern, die a) nicht gut aussehen und b) man nicht versteht. Auch kann der Technikverliebte gleich sehen, dass eine Filmkamera in vorhandenem Licht eingesetzt wurde. Keine High-end Digicam? Kein ausgeklügeltes Lichtsetup? Unverständnis auf der ganzen Linie.

Was lief falsch? Die Forenten erwarten gefällige Bilder, so wie sie sie auch gerne produzieren. Der Fotografiestudent dagegen versuchte eine Geschichte zu erzählen oder ein Konzept in Bilder umzusetzen. Der Fotoapparat stammt tatsächlich vom Flohmarkt oder von Opas Dachboden und der Schwarzweißfilm wird dann selber in der Dunkelkammer entwickelt wie vor 100 Jahren.

Die Aufnahmen entstanden übrigens abends in seiner Studentenbude, die er am folgenden Tag für einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt zurücklassen sollte samt seiner Freundin, die auf den Bildern eingewickelt in Vorhänge und anderes zu sehen war. Eindrücklich und beklemmend, spiegelten sich Gefühle des Abschieds, der Unsicherheit und einer beginnenden Entfremdung wieder.

Auf Instagram hätten die Fotos nicht minder verstört. Auch dort allenthalben Gefälliges, Dekoratives, Narzisstisches. Aber eine Gemeinsamkeit fällt mir auf: auch dort ist der Bildstil von Smartphones geprägt, Knipsen ist das neue Fotografieren. Da mögen sich die alten Herren um die 50 in den Online-Diskussionen noch so sehr wundern, weshalb sie so schwer junge Damen finden, die von ihnen aufwändig fotografiert werden möchten und das sogar kostenlos. Man glaubt es kaum, es füllen sich regelmäßig ganze Seiten mit solch geartetem Rätseln.

In all den Jahren, in denen ich mich mit Fotografie abmühe, komme ich immer wieder auf die Bilder zurück, die mich persönlich berühren. Meine Oma vor dem Familiengrab, in dem sie wenige Jahre später selber liegen würde. Ich erinnere mich an unseren gemeinsamen Spaziergang auf dem Friedhof, dass wir offen über Tod und Verlust gesprochen haben. All dies verbinde ich mit dem Bild. Es wäre nicht entstanden, wenn ich nicht zu ihr gefahren wäre und wir nicht Zeit miteinander verbracht hätten.

Eigentlich ist es eine tolle Sache, wenn man jederzeit zum Nulltarif solche Szenen festhalten kann. Unser Leben besteht ja nicht nur aus Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Abi-/Tanzkursabschlussball, wo aufwändige Bilder, oft von Profis, entstehen, die dann auf dem Kaminsims oder auf dem Nachtkästchen stehen. Viele verbinden auch nicht allzu viel mit solchen Feierlichkeiten, man absolviert sie, weil es dazu gehört. Das Leben findet mehr dazwischen statt. Und ich sehe es als enorme Herausforderung, Besonderheiten zu sehen und festzuhalten, wenn es die eigene Familie betrifft. So eine Feier kreativ zu fotografieren ist keine leichte Aufgabe. Einfacher ist es, einen hübschen Menschen im Sonnenuntergang vor eine Kamera zu schubsen, weil es belanglos ist, weil man sich nicht der Beziehung zu einer Person stellen muss.

Fragt man Leute, was sie im Leben versäumt haben, folgt häufig die Antwort, zu wenig Zeit mit der Familie verbracht zu haben. Warum ist das eigentlich so? Setzen wir selbst falsche Prioritäten oder werden wir von unseren Angehörigen gezwungenermaßen ferngehalten? Ich denke, jeder kann für sich selbst beantworten, welche Tätigkeiten ihm die Zeit rauben, die dann woanders fehlt.

Das höchste Ziel für einen Fotografen ist, autochthon zu sein, im Fluss, selbstvergessen im Sehen und Festhalten. Da stört die Schere im Kopf, die „Beziehungskiste“, der Alltag, die uns alle limitieren und lähmen. Wie oft klagen wir, dass die Zeit so schnell vergeht! Wir machen aber keinen Versuch, sie zu verlangsamen. Eigentlich leben wir viel zu oft an uns selbst vorbei.

Gut, dass man durch Schnappschüsse Erinnerungen festhalten kann. Ich nehme mir vor, es häufiger zu tun.

Zum 112. Geburtstag meiner Oma Else Spilling, geb. Baruch. Titelbild: Ihre Hände wenige Monate vor ihrem Tod. Am Baruch-Familiengrab mit den gravierten Namen der Eltern Johann und Margarete Baruch im Jahr 2000. Beim Baggersbraten, als sie uns das letzte Mal in Bayreuth besuchte.

„Mir war nie langweilig“

Jochen Schoberth ist ein Urgestein der Bayreuther Musikszene. In den 1980er Jahren führte er die Etage in der Markgrafenallee und ist bis heute aktiver Gitarrist in der von ihm gegründeten Band: „Bella Donna“. Er bezeichnet sich selbst zuerst als Musiker, dann als Ton- und Videotechniker. Hier verlinkt die Stadt der Träume aus Etagezeiten, 1992:

In seinem Studio finden sich einige legendäre Sammlerstücke wie Artwork, Jupiter-6 oder Emax an musikalischem Equipment, die heute noch ihren Dienst tun und aus Modellreihen stammen, mit denen früher Depeche Mode, Van Halen, Genesis und andere arbeiteten. So ist Jochens Credo, dass die Stücke, die er auswählt, nicht bloßes Werkzeug, sondern Inspiration sein sollen. So ist es wenig verwunderlich, dass er langjähriger Macuser ist, was ein alter PPC 7200 beweist, auf dem heute noch FileMaker für die Buchhaltung läuft.  Einige seiner älteren Rechner beherbergen Spezialprogramme, für die es keine aktuellen Upgrades mehr gibt. Wer wie ich eine alte 2009er Käsereibe sein eigen nennt, weiß es zu schätzen, dass Jochen quasi nebenbei unter Geplauder ein Prozessorupgrade einbauen kann, wenn ich als grobmotorische Eigentümerin den Mut dazu nicht habe. Er kennt wirklich fast jeden Mac der vergangenen Jahre sprichwörtlich in- und auswendig.

Bereits vor Corona erkannte Jochen, dass die Zeiten für Musiker sich ändern würden. Nachdem die Anzahl von Festivals in den 1990ern stark anstieg, kam es zu einem Verdrängungswettbewerb, aus dem die großen Etablierten wie „Wacken“ und „Rock im Park“ als feste Größe hervorgingen. Andere wiederum verschwanden von der Bildfläche. Tendenz weiterhin abnehmend.

Eine Parallele dazu sieht er auch in den einschlägigen Fachmessen, die ebenfalls vor Jahren an Bedeutung verloren. Die Kundengewinnung geht heute über andere Kanäle, man spart sich gerne sündhaft teure Standmieten, die man erst mühsam über Projekte wieder amortisieren müsste.

Mit Corona nehmen diese Entwicklungen an Fahrt auf. Großveranstaltungen, seien es Festivals oder Fachmessen, sind auf Monate hinaus auf Eis gelegt. Jochen rechnet damit, dass das in 2021 so bleiben wird. Als die Krise begann, hatte er gerade erheblich in Aufnahmetechnik für fest gebuchte lukrative Engagements investiert, die dann gezwungenermaßen nicht stattfinden konnten. Glücklicherweise konnte er mit der bayerischen Soforthilfe ein paar Wochen überbrücken bis er andere Projekte durchführen konnte.

Ein Highlight war die Aufnahme und das Streaming der Oper „Sonnenflammen“ von Siegfried Wagner im Bayreuther „Reichshof“. Das Besondere an der Veranstaltung war, dass sie unter strengen Hygieneauflagen – also coronagerecht – ablief. Der Dirigent hatte im Vorfeld die Orchestermusik mit hochwertigen digitalen Samples eingespielt (digitales Orchester) und das ganze Ensemble bewegte sich quasi in Quarantäne, indem sie zwischen den Proben im Hotel und den Aufführungen pendelte, ohne Kontakt zur Bevölkerung zu haben. Die Zuschauer wiederum wurden nur in begrenzter Zahl eingelassen, so dass der Abstand auf den Stühlen gewahrt wurde.

Mich wunderte, dass ich von dem Projekt zwar auf Jochens Facebook-Seite https://www.facebook.com/jochen.schoberth erfahren, aber ansonsten keine offizielle Kommunikation zum Konzert wahrgenommen hatte. Kann es sein, dass das Coronagetöse auf allen Kanälen solche Veranstaltungen verdrängt? Momentan hört man fast nur Negatives, dass Martini und Weihnachtsmärkte unter freiem Himmel abgesagt werden. Werden am Ende dadurch positive Meldungen übersehen?

Jochen befürchtet, dass Corona soziale Ungerechtigkeiten befeuern wird, was nichts Ungewöhnliches für Krisen ist. Für ihn ist jedoch wichtiger, dass unaufschiebbare Entwicklungen endlich beschleunigt werden, über die lange geredet wurde, und für deren Umsetzung jetzt die Weichen gestellt werden. Zum einen nennt er den Klima- und Umweltschutz, für den die eigene Einstellung zu Urlaubsflügen überdacht werden muss. Soll man wirklich zweimal im Jahr wegfliegen oder gar mit einem Kreuzfahrtmonster durch die Meere schippern? Der ökologische Fußabdruck muss kleiner werden und Corona ist die Gelegenheit, das jetzt Realität werden zu lassen.

Seine Lebensphilosophie war schon immer, dass man das hart erwirtschaftete Geld nachhaltig und sinnvoll ausgeben sollte. So ein Auslandsurlaub sei zwar schön, aber das Geld sei ihm zu schade. Da bin ich an meine eigene Selbstständigkeit erinnert, in der ich schwer vorausplanen konnte, wann ich mal eine Zeit wegfahren könnte. Es ergibt sich fast zwangsläufig eine Verschmelzung von Freizeit und Arbeit, Beruf und Hobby, wenn man das, was man macht, einfach liebt.

Jochen ärgern die Coronaleugner, von denen er glaubt, dass es vor allem Singles sind, die gewohnt sind, ihren Egoismus auszuleben. Diese fühlten sich derart eingeschränkt, dass sie absurden Verschwörungstheorien anhingen, die ihren Frust und Zorn auf die Anti-Coronamaßnahmen vermeintlich rechtfertigen. Für ihn gibt es keine Diskussionen darüber, ob man alles daran setzten sollte, Leben zu schützen, es ist moralische Pflicht. Nach seiner Meinung tut die Politik nicht genug, um den Virus konsequent einzudämmen. Besonders Donald Trump habe Covid anfänglich nicht ernst genommen und habe deshalb die schlimmen Konsequenzen zu verantworten.

Ich frage Jochen, ob er kreative Lösungsansätze gebraucht hat, um durch die Coronazeit zu kommen. Er meint, für ihn habe sich nicht viel geändert, ihm sei nie langweilig geworden. Seine Brot- und Butterjobs habe er weiter machen können, z.B. CD-Mastering für Musikmagazine. Auch der Probebetrieb von „Bella Donna“ sei normal weitergelaufen, da der Raum groß genug ist und die Band fand Zeit, an neuen Stücken zu arbeiten. Liegengebliebenes wartet bis heute auf Aufarbeitung.

Wahnfried in 3D auf Sketchfab

Außerdem braucht Jochen keine Krisenzeiten, um sich weiterzuentwickeln, denn das tut er seiner Natur gemäß eigentlich ständig. Über die Beschäftigung mit Drohnentechnik, sowohl für Fotografie als auch Video, kam er auf die Idee markante Baudenkmäler in 3D-Objekte umzusetzen. Selbst die Villa Wahnfried war nicht vor ihm sicher oder ein Bahnhof im Bayreuther Umland. Natürlich reicht es nicht, wenn man digitale Daten erstellt, ein 3D-Drucker wurde angeschafft, um Modelle herzustellen, die dann von ihm zuletzt per Airbrush gefinisht werden.

Live-Streaming von Konzerten ist angesagt in Zeiten, in denen Publikum nicht anwesend sein darf. Jochen bedauert, dass die Qualität zu häufig bescheiden gewesen sei. Sein professioneller Anspruch brachte ihm den Auftrag ein, ein Soloklavierkonzert am berühmten Liszt-Flügel aus dem Rokokosaal bei Steingraeber zu streamen. Eine Technik, die ganz und gar nicht trivial ist, da die Latenzen zwischen Bild und Ton ausgeglichen werden müssen, so dass Ton und Video synchron sind und das in Echtzeit. Das beherrscht wirklich nicht jeder.

Natürlich bin ich beeindruckt von so viel Erfahrung und Wissen, kann mir natürlich nur die Hälfte der genannten Fachausdrücke und Geräte merken, aber lasse mich zum Schluss noch schnell mit einem iPhone und 3D-Software scannen.