Dezember 2015

Joe McNally und ich sind uns einig *ggg*

Einer der derzeit meist aufgerufenen Begriffe im Gutmenschen-Buzzword-Bingo ist „Achtsamkeit“. Es umwehen ihn Schwaden von Räucherstäbchen und Klänge von Meditationskugeln kommen einem dazu in den Sinn. Aber was bedeutet dieses hehre Wort, das im Alltagswortschatz gar nicht vorkommt, dafür in fast allen Selbsthilferatgebern oder Selbstfindungsworkshops zum Thema „Entschleunigung“ & Co. Verwendung findet?

Vor ein paar Jahren klärte mich eine Gastronomin darüber auf, dass sie bei einem Koch darauf achte, wie er mit einem Stück Fleisch umgehe. Es sei wertvoll, ein Tier habe sein Leben dafür gegeben. Es müsse vorsichtig behandelt und perfekt zubereitet werden. Das hat mich beeindruckt und noch Jahre danach denke ich darüber nach. Ich will aber hier keine Gedanken zum Thema Fleischkonsum vs. Vegetarismus o.ä. anführen, meine Gedanken gehen in eine andere Richtung. Schließlich trifft man mich ja meistens mit einer Kamera vor dem Auge im Anschlag an, meistens mit Personen im Fadenkreuz.

Gibt es ein Postulat für Achtsamkeit bei der Fotografie?

Schon seit Jahren überlege ich mir, was der sprichwörtliche Außerirdische denken würde, wenn er mit seiner Untertasse wie im Comic neben mir landen und Zeuge eines Porträt-Shoots werden würde. Würde er verstehen, was hier vor sich geht? Zwei Personen sind sich gegenüber, schauen sich an, einer hat einen schwarzen Kasten vor den Augen. So selbstverständlich dieser Vorgang für uns ist, die wir mit Knipskisten aufgewachsen sind und heute ohne Smartphone mit Kamerafunktion keine halbe Stunde überleben würden, so seltsam könnte es dem grünen Marsmännchen vorkommen. Im Englischen heißt es ja „take someone´s picture“, als würde man jemandem etwas wegnehmen. Zumindest trägt man Bilder der Person auf der Speicherkarte davon. Wir gehen mal davon aus, dass die Person freiwillig posierte, sich auf den Bildern hübsch findet und damit zufrieden ist, wenn sie bearbeitet bei ihr ankommen. Wir lassen mal die Situationen außen vor, in denen ein 1.000 mm Tele zum Einsatz kam und eine Person unbemerkt in einer privaten Umgebung fotografiert wurde.

Lernen von einem Großen – ach was sage ich – vom Giganten

Joe McNally, wahrscheinlich der größte lebende US-Fotojournalist seit 30 Jahren spricht in einem Interview u.a. über die Verantwortung des Fotografen gegenüber dem Fotografierten. Das ganze Video ist eine Schatzgrube, es wurde von dpreview.com geführt und hier veröffentlicht:

Interview bei dpreview.com

Ab Minute 14 spricht Joe über die emotionale Verbindung bei einem Porträt-Shoot:

„The emotional connection between you and the subject means everything in a portrait situation. And I think there are photographers who forget that a little bit, especially some of the photographers who might be at the beginning of their curve and they´re so worried about their stuff, the f-stop and shutter speed aspect of it that they´ll forget that there´s a human being out there in this very vulnerable place in front of a camera. It´s a vulnerable, emotionally difficult place to be when you get in front of a camera. Not to say that some folks like Hollywood folks they have it not, they´re fine about it. When you´re relating to people, generally speaking, you got to treat them really, really well. You know emotionally that it is a very difficult thing for them to do so you have to be at risk with yourself emotionally. You have to care so much about doing a good job for them – with them – you´re both kind of out there on the wire.“

Meine bescheidene Übersetzung:

„Die emotionale Verbindung zwischen Dir und dem Fotografierten hat die größte Bedeutung in einem Porträt-Shoot. Und ich glaube, dass es Fotografen gibt, die das ein wenig aus dem Auge verlieren, besonders die Anfänger, weil sie sich mehr über Blende und Verschlusszeit Gedanken machen, so dass sie vergessen, dass sich hier ein verletzlicher Mensch vor Deine Kamera begibt. Es ist ein Ort der Verwundbarkeit, gefühlstechnisch nicht einfach, sich dorthin zu begeben, eben vor eine Kamera. Das heißt nicht, dass manche Hollywood-Leute kein Problem damit haben, sie kommen damit gut zurecht. Wenn Du mit Menschen umgehst, allgemein gesprochen, musst Du sie wirklich, wirklich gut behandeln. Du weißt, es ist gefühlt sehr schwierig für sie, deshalb musst Du auf der Gefühlsebene sehr aufpassen. Du musst Dich um sie sorgen, dass Du den bestmöglichen Job für sie – mit ihnen – machst. Ihr lehnt euch beide dabei weit aus dem Fenster.“

Was Joe hier so unaufgeregt zum besten gibt, umschreibt in ein paar Sätzen das, was ich in den letzten Jahren auch so erkannt habe. Fotografiert werden ist seltsam, eigentlich unnatürlich. Man posiert, alles ist gestellt, man bekommt Feedback oder Korrekturen zugerufen. Fast wie eine Prüfungssituation, in der man sich unsicher fühlt. Fragt mal euren Fotografen, ob er/sie selber gerne vor der Kamera steht … Egal, wer da vor der Kamera erscheint, ob es ein Profimodel ist, ein Amateur mit Erfahrung und Shootingideen oder ein Kunde, der eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt dem Termin im Fotostudio vorziehen würde, der Fotografierende ist gefordert, gleich achtsam mit allen umzugehen. Der Grad des Unwohlseins, das der Mensch vor der Kamera empfindet, ist gar nicht der Maßstab dafür, wie sehr sich der Fotograf anstrengen muss. Er muss alle Menschen respektieren und bereit sein, den besten Job abzuliefern.

Sagt nicht ein altes chinesisches Sprichwort aus, dass man lächeln können muss, um ein Geschäft eröffnen zu können? Das möchte ich so auch für jedes Fotostudio fordern. Und noch mehr, man muss ein ausgesprochener Menschenfreund sein, wenn man auf der Suche nach dem schönsten Blick, der vorteilhaftesten Ansicht des Gegenübers ist. Egal, wer da vor mir sitzt/steht, auf dem Bild, das ich von ihm „nehme“, soll er sich schön finden. Und das geht am besten, wenn er sich beim Entstehen der Bilder wohl und wertgeschätzt fühlte.

Sind wir nicht alle ein bisschen Nofretete?

Dieser Gastblog erschien zuerst bei meiner lieben Fotofreundin und WordPress-Trainerin Birgit Engelhardt:

Sind wir nicht alle ein bisschen Nofretete? Bildretusche im Zeitalter der digitalen Fotografie

Hier noch mal der Text mit Bild.
Im Bahnhofshandel schauen sie uns an, die Schönheiten auf den Glamour-Zeitschriftentiteln. Überirdisch blicken Angelina Jolie und Co. auf uns herab, Katzenaugen in perfekt symmetrischen Gesichtszügen, gekleidet in atemberaubende Haute Couture Größe 34 – maximal. Aber der aufgeklärte „Homo Hipsterus“ weiß natürlich, dass diese Bilder ohne Ausnahme umfangreiche Veränderungen in einem Programm namens „Photoshop“ durchlaufen haben. Kein Foto wird heute auf einem Titel gedruckt, ohne dass vorher allzu Menschliches retuschiert und damit in den Olymp des Perfekten erhoben wurde. Youtube ist voll mit Tutorials, die zeigen, wie man Asymmetrien begradigen, Kraterlandschaften auf Haut einebnen und Farben ätherisch überstrahlen kann. Die Übersetzung „Fotoladen“ ist fast ein Hohn, wenn man bedenkt, dass es Zeiten gab, in denen das Bild analog in einer lichtempfindlichen Schicht fast eingeritzt war und die Kosten, es zu verändern, astronomisch hoch. Wie lange ist das her, seit die Digitalfotografie flächendeckend Einzug hielt in unser Leben? Vielleicht 10 Jahre oder etwas mehr? Photoshop stammt aus der Zeit, als der digitale Pixel noch ein Traum von Entwicklern war.

Was für Hollywood-Göttinnen (und -götter) legitim ist, sollte auch für Otto Normalverbraucher nicht verkehrt sein. Moment! War da nicht etwas mit dem Anspruch, dass man in Fotos sowas wie die Wirklichkeit abbilden müsste, dokumentarisch … schonungslos? Möchte man nicht als Unabhängiger vom Mainstream, den Zeitgeist verachtend, geradezu einen Kontrapunkt setzen und die Wirklichkeit zur Kunstform erheben?

Da gibt es tatsächlich Vertreter, die diesem Anspruch genügen wollen, FotokünstlerInnen wie Antje Kröger, die ich bewundere, und deren Bilder ich so gerne anschaue. Allein, ich bin dann selber dem Sirenenruf Photoshops immer wieder erlegen. Kaum sehe ich Bilder, wie sie aus der Kamera auf meiner Festplatte landen, möchte ich optimieren, es ist wie ein innerer Zwang, zu schönen, zu begradigen und vor allem dem Betrachter zu gefallen.
Letztlich möchte ich auch den Fotografierten zufriedenstellen, dessen Wunsch erfüllen, so auszusehen wie das hingeschubste Hollywood auf den genannten Magazin-Fronten. Ist das eine Konsequenz aus der digitalen Beliebigkeit, der Inflation von Pixeln, die jederzeit bereit sind, in die richtige Richtung gepusht zu werden? Nein, natürlich nicht. Kunst hat schon immer überhöht, hat schon immer dekorativ sein wollen, Nofretetes Skulpteur war nicht der Beginn und nicht das Ende dieses menschlichen Bedürfnisses nach „Larger-than-Life“, nach einem Bild, dass eine Projektion unseren Daseins ist hin zu dem, was wir gerne wären, aber leider nicht sein können.

Junkyard-Jesus

yardVor einigen Jahren – genauer gesagt im Juni 2013 – fuhr ich mit dem Fahrrad den Sendelbach in Bayreuth entlang und entdeckte einen malerisch unaufgeräumten Hinterhof mit ausgemusterten Grabsteinen. Der gehörte wahrscheinlich einer Firma, die zur Erlanger Straße hin Friedhofsartikel aus Stein anbot. Mitten in alten Paletten, Unkraut und neben einem Baucontainer befand sich eine Jesus-Statue, die wohl mal im nahegelegenen Stadtfriedhof gestanden und mittlerweile ausgedient hatte. Es sah so aus, als würde sie den Müll segnen.

Die Szene gefiel mir so gut, dass ich einige Aufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln machte, gerade so, dass ich nicht über den Zaun steigen musste, der das Grundstück eingrenzte.

Übrigens steht an der Stelle jetzt (2017) ein großes Gebäude, der „Schrottplatz“ ist also verschwunden. Wie gut, dass ich alles bereits fotografiert habe. Damals nahm ich mir fest vor, aus dem Bild etwas zu machen.

Bloß was, fragte ich mich vor ein paar Wochen dann etwas konkreter, als mir einfiel, dass es da noch diesen „Junkyard-Jesus“ auf meiner Festplatte gab. Also einen Titel hatte ich schon mal. Wie gut, dass es die englische Sprache gibt, die oft prägnanter ausdrückt, was man auf Deutsch kaum mit „Schrottplatz-Jesus“ übersetzen würde, sondern eher mit „Ausgediente Jesus-Statue im Grabstein-Friedhof“ oder Ähnliches.

junkyard-jesusNatürlich schwebte mir eine bunte, dekorative Bearbeitung vor, möglichst dramatisch und leuchtend zugleich. Also die sonnige Atmosphäre musste weichen, die Blumen durften als einziges in Gelb erstrahlen nebst einer Art Heiligenschein um den Segnenden.

Im Bild habe ich noch ein paar J und ein Kreuz versteckt.

 

 

 

 

English Translation:

A few years ago, in June of 2013 exactly, I rode my bike along Sendelbach – a little brook – in my home town Bayreuth and discovered a dreamy back yard with disused tomb stones and all kinds of rubble. This was probably part of a firm selling cemetery hardware. Between old palettes, weed and beside a construction container I spotted a statue of Jesus which I assumed came from the cemetery nearby, called „Stadtfriedhof“, and was no longer of use there. It looked as if it was blessing the scrap.

I liked the pictorial scene so much that I took some photographs from different perspectives as close as possible to the fence around the yard I didn’t want to climb over.

By the way, the junk yard has disappeared recently (there is a large building now). Thank God, I had taken pictures then, intending to create some art work later.

What could I possibly do with the images, I wondered a few weeks ago, when I came across that „Junkyard Jesus“ on my hard drive. Well, there I had my title! English is a great language for short and expressive slogans, in German the title would have read something like „Abandoned Statue of Jesus in a Tombstone Cemetery“ or something like that.

Of course, I went for a colorful and decorative style, with dramatic lighting. So I discarded the sunny atmosphere and put shiny halos around flowers and the statue.

I also hid some „Js“ and a cross in the scene.