November 2020

Tanz ins Ungewisse

Am 15.11.20, einem wunderschönen Spätherbsttag, traf ich mich mit Silvan Ruprecht in Nürnberg an zwei seiner Lieblingsorte. Wir kannten uns schon von einem gemeinsamen Fotoprojekt in meinem Fotostudio in Bayreuth ein paar Jahre zuvor und hatten immer vorgehabt, ein weiteres Shoot in einer Outdoorlocation durchzuführen. Dann fragte ich ihn kürzlich, ob er mir bei der Gelegenheit nicht auch von seinen Überlebensstrategien in der Coronazeit erzählen wollte. Und er wollte!

Pam
Hallo Silvan, du bist Tänzer in Nürnberg und du hast  natürlich auch in der Coronazeit viel an Umbruch erlebt, es hat sich viel verändert, erzähl mal, wie ist es dir in den letzten 6 Monaten ergangen?

Silvan
Die Coronazeit war für mich am Anfang ein ganz großer Schlag. Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte, es hat mich zutiefst getroffen. Mein Leben wurde von 100 auf komplett 0 heruntergefahren. Ich möchte eigentlich nicht emotional sein, aber in den ersten paar Tagen gemerkt, es muss eine Lösung her, ich habe sogar Tränen vergossen, weil mir wurde meine Leidenschaft, mein Dasein als Tänzer und als Tanzlehrer auf einmal genommen und es war keine Möglichkeit da, auf die Bühne zu gehen oder zu unterrichten. Erst später kam nach und nach technische Möglichkeiten, online Kurse zu geben.

Pam
Wie kann das funktionieren?

Silvan
Wie geht das? Online und Live-Übertragung über soziale Netzwerke und Medien, die wir nutzen. Es ist ein Bestandteil unseres Lebens und unserer Arbeit geworden, wir bestellen übers Internet, schauen Streams übers Internet und jetzt kann man auch Sport bzw. Tanzkurse übers Internet machen.

Pam
Jetzt geht es auf einmal … vorher konnte man sich das nie vorstellen

Silvan
Richtig, ja. Klar, es ist natürlich wichtig, dass man sich aus dem Nichts ein technisches Equipment zulegt, was natürlich wie bei den anderen Künstlern, wie Fotografen oder Maler, die vielleicht auch auf digital umsteigen auch ein zusätzlicher Aufwand ist, es zu beschaffen und sich einzuarbeiten. Wir müssen einen anderen Regler nach oben bringen und da uns jetzt weiterentwickeln, unseren Horizont erweitern, was ist möglich und fächerübergreifend auch über verschiedene Medien zusammenzuarbeiten.

Pam
Hast du eine Überbrückung bekommen? Der bayerische Staat hat auch für Soloselbstständige Gelder zur Verfügung gestellt.

Silvan
Ich habe einen Antrag gestellt, habe aber leider nie etwas bekommen.

Pam
Das Problem ist auch, dass man es nicht fürs Leben, für Essen und für die Miete verwenden darf, sondern nur für Betriebskosten verwenden darf, aber als Tänzer hat man ja kaum Betriebskosten.

Silvan
Das soll sich ja jetzt für Soloselbstständige ändern. Die Frage ist, ich traue der ganzen Geschichte nicht, dass es mit Zurückzahlung verbunden ist. Ich habe Gottseidank viel Unterstützung von Familie, Schülern und meinen Kollegen erfahren, die mich emotional, aber auch mit Rat und Tat unterstützen, Hilfe bei Technischem, Foto und Video bekommen.

 

Das sind Lichtblicke in der düsteren Stimmung und helfen, die Angst zu durchbrechen. Es geht darum, dass man sich sammelt, konzentriert, dass man einfach auf andere Art und Weise sein Geschäft, sein Dasein voranbringt. Man weiß nicht wohin die Reise hingeht, man probiert was, entwickelt was und man hält zusammen.

Pam
Hast du den Eindruck, dass du aus dieser Krise, aus diesem Umbruch in deinem Leben etwas gewinnen kannst?

Silvan
Ja, natürlich. Wie die erste Welle kam, wie der erste Lockdown im März war, hatte ich Gottseidank auch die Zeit zu reflektieren, wie weit bin ich gekommen, was sind meine Wünsche, was sind meine Bedürfnisse, in mich zu schauen und zu sagen, wo möchte gerne ich im nächsten Jahr stehen, was kann ich für mich tun, was kann ich für meinen Körper tun. Wo kann ich zusagen, oder vielleicht wo auch mehr nein sagen vielleicht, konzentrierter in gewissen Projekten sein. Mich sammeln …

Pam
… stärker selektieren, auswählen. Ich sage das deswegen weil es mir genauso gegangen ist. Ich habe einfach Sachen aufgegeben, wo ich sage, eigentlich brauche ich die nicht. Die behindern mich eher.

Silvan
Wir leben mit dem Unwichtigen, weil wir dran gewöhnt sind. Plötzlich bricht vieles weg und man sortiert, man schaut genauer hin, schaut zwischen die Zeilen und man merkt, man braucht es nicht, kann es weglassen, es macht nur Unruhe in Körper und Geist und bringt einen nicht voran. Wenn man das realisiert, das ist wie ein Befreiungsschlag und man denkt sich, es geht auch so. Man kommt zur Ruhe und zu einem neuen Selbstbewusstsein, weil man doch was geschafft hat trotz Lockdown, man hat mental gearbeitet, etwas für sich gemacht und das sind Stärken, die man entwickeln kann in dieser Zeit. Man muss dran bleiben, ein Ziel, eine Vision haben, dann wird es positiv und man kann in diese Richtung weitergehen.

Pam
Wenn man eine Krise überwunden hat, dann stärkt das dich?

Silvan
Definitiv. Weil man weiß, wo man steht, wenn man 3 oder 4 Monate überstanden hat, dann weiß man, beim nächsten Lockdown, was kann ich optimieren, was kann ich machen und  von den vielen neuen Ideen umsetzen, die ich vorher aufgeschrieben hatte. Man muss nicht Risikos eingehen, aber schauen, was bringt mich meinem Ziel näher. Oder stecke ich mir andere Ziele, gehe in andere Richtungen. Das bleibt spannend, was diese Entwicklung mit sich bringt.

Pam
Tänzer sein ist eine temporäre Sache. Irgendwann  ist das Alter da, wo man andere Dinge tun muss. Einen Plan B muss man in diesem Beruf entwickeln.

Silvan
Ja, nach einem gewissen Punkt kommt das. Entweder man bespricht man mit guten Freunden oder dem Partner zusammen, was ist der Plan B, was liegt einem, welche Stärken habe ich. Das ist wie in einem Bewerbungsgespräch, sich die gleichen Fragen stellen, wo will ich hin, wenn die Tänzerkarriere auf der Bühne abgeschlossen ist. Man kann zwar noch ziemlich lange noch tanzen in kleineren, modernen oder abstrakten Projekten auf der Bühne stehen. Man muss abwägen, möchte ich das weiterhin haben oder werde ich nur hinter der Bühne stehen, inszenieren, choreographieren. Ist das mein nächstes Ziel. Viele Tänzer gehen diesen Weg und machen ihre eigenen Choreographien und Videoprojekte. So kommt man auch irgendwann in Kontakt, schaut dem anderen über die Schulter, lernt voneinander und bereichert sich gegenseitig. Das kann wieder ganz neue tolle Impulse und Zusammenarbeit bringen.

Pam
Du hast mir erzählt, ihr arbeitet an einem Projekt, einer Aufführung in der Konzerthalle in Bamberg.

Silvan
Das nächste Tanzstück im April heißt „Die vier Elemente“, choreographiert von Melanie Day. Sie hat mit uns das Ensemble die MDance Company gegründet und wir hatten schon in 2019 eine Premiere: „Tango Nights“. Es wird noch größer, spannender, noch mystischer und erlebnisreicher 

Pam
Ich bin auf jeden Fall dabei. Ich komme unbedingt nach Bamberg und schaue mir das an.

Hat sich schon jemand Gedanken gemacht über ein Hygienekonzept? Oder kannst du das abgeben, dass du dich als Tänzer nicht auf sowas konzentrieren musst

Silvan
Wir als Tänzer sind tatsächlich nur dafür da, unsere Show zu machen und ich glaube, nur die Stadt Bamberg muss ein Konzept präsentieren und sich das von München absegnen lassen.

Pam
Die Konzerthalle ist ja ein ganz modernes Gebäude mit Abluft- und Klimatechnik. Riesig, da dürfte es kein Problem mit Abstand und Einbahnstraßen für Ein- und Ausgänge geben.

Silvan
Man hat Luft und Platz dort, das Ganze so gut umzusetzen, dass wirklich nichts in Frage gestellt wird.

Pam
Du hast gesagt, es war sehr emotional für dich, als du gemerkt hast, hier kommt ein Lockdown, das Leben wird angehalten, man wird sozusagen zwangsentschleunigt.

Silvan
Man wird gezwungen, das war das Schlimme, weil man es selber nicht verhindern konnte. Man ist ja bereit, zu arbeiten, etwas zu leisten. Wie heißt es so schön, ich hatte mein Hobby zum Beruf gemacht und ich konnte mir nicht vorstellen, auf einmal nichts mehr zu machen und mir war schnell klar, ich muss meine eigenen Kurse online geben und mithilfe meiner tollen Kollegen, denen ich 1000mal dankbar bin, dass sie mich mit Werbung, Flyer und Videos unterstützt haben. Auch im zweiten Lockdown findet das wieder statt. Ich mache bei meinen eigenen Kursen alles auf Spendenbasis. Ich verlange kein Geld, weil ich weiß, wie das ist, wenn man Miete zahlen muss, aber auch noch Sport machen möchte, sich das aber nicht leisten kann. Ich biete das auch für 0 Euro, oder wenn jemand 5 Euro geben kann, an. Ich freue mich, wenn ich jemandem eine Freude machen kann.

Pam
Super! Findest du den zweiten Lockdown nicht so schlimm wie den ersten?

Silvan
Er ist nicht mehr so schlimm, denn ich weiß jetzt was mich erwartet, kann mich schneller anpassen und agieren.

Pam
Wie ist momentan der Probenalltag möglich?

Silvan
Gar nicht. Das lässt die Regierung nicht zu. Erst wenn der Inzidenzwert auf 50 fällt, dann können wir wieder proben. Da müssen wir aber abwarten, wie die Stadt Nürnberg entscheidet.

Pam
Könnt ihr eure Rollen einzeln einstudieren oder über Zoom kommunizieren?

Silvan
Die Proben beginnen erst im nächsten Jahr. Wir haben auch Gäste da, die nicht aus Nürnberg sind, die können nicht 3 oder 4 Monate  hier bleiben, die Probezeit  muss daher komprimiert werden Sonst streckt sich das noch länger und es ist mit Kosten verbunden.

Pam
Ihr müsst ja eine Location haben, wo ihr proben könnt. Wo kommt die Musik her?

Silvan
Es gibt kein Live-Orchester, das würde noch mehr kosten. Die Songs kommen aus der Konserve. Leider können wir uns das nicht leisten wie beim Musical oder Staatstheater. So groß sind wir nicht. Das wäre ein Traum, aber das ist leider nicht möglich. Das muss vom CD-Player abgespielt werden.

Pam
Silvan, ich danke dir für das Interview!

Wenn ihr Silvan und sein Tanzprojekt unterstützen wollt, dann könnt ihr das hier tun:
https://www.startnext.com/en/die4elemente?fbclid=IwAR3momCa1RyNq4_fh8EyKUlrF8coqreWS5IvkTNugnbifN_rVdpa-CcAbyc

Hier könnt ihr zu Silvan Kontakt aufnehmen:
https://www.facebook.com/silvan.ruprecht

Hier die Webseite von Melanie Day mit der MDance Company:
https://de.mdancecompany.de

Fotografierst du noch oder knipst du schon?

In vielen Diskussionen in Internetforen geht es immer wieder um die Frage, ob man eine spezielle Kamera braucht, um gute Bilder zu machen oder ob man Workshops besuchen sollte, z.B. für Bildkomposition oder entfesseltes Blitzen. Alles konzentriert sich auf Ausrüstung und die nötigen Skills, sie zu bedienen. Halt das übliche Palaver zwischen fotografierenden Nerds.

Ganz selten verirrt sich ein Fotografiestudent in solche Threads und stört die heile Welt mit Bildern, die a) nicht gut aussehen und b) man nicht versteht. Auch kann der Technikverliebte gleich sehen, dass eine Filmkamera in vorhandenem Licht eingesetzt wurde. Keine High-end Digicam? Kein ausgeklügeltes Lichtsetup? Unverständnis auf der ganzen Linie.

Was lief falsch? Die Forenten erwarten gefällige Bilder, so wie sie sie auch gerne produzieren. Der Fotografiestudent dagegen versuchte eine Geschichte zu erzählen oder ein Konzept in Bilder umzusetzen. Der Fotoapparat stammt tatsächlich vom Flohmarkt oder von Opas Dachboden und der Schwarzweißfilm wird dann selber in der Dunkelkammer entwickelt wie vor 100 Jahren.

Die Aufnahmen entstanden übrigens abends in seiner Studentenbude, die er am folgenden Tag für einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt zurücklassen sollte samt seiner Freundin, die auf den Bildern eingewickelt in Vorhänge und anderes zu sehen war. Eindrücklich und beklemmend, spiegelten sich Gefühle des Abschieds, der Unsicherheit und einer beginnenden Entfremdung wieder.

Auf Instagram hätten die Fotos nicht minder verstört. Auch dort allenthalben Gefälliges, Dekoratives, Narzisstisches. Aber eine Gemeinsamkeit fällt mir auf: auch dort ist der Bildstil von Smartphones geprägt, Knipsen ist das neue Fotografieren. Da mögen sich die alten Herren um die 50 in den Online-Diskussionen noch so sehr wundern, weshalb sie so schwer junge Damen finden, die von ihnen aufwändig fotografiert werden möchten und das sogar kostenlos. Man glaubt es kaum, es füllen sich regelmäßig ganze Seiten mit solch geartetem Rätseln.

In all den Jahren, in denen ich mich mit Fotografie abmühe, komme ich immer wieder auf die Bilder zurück, die mich persönlich berühren. Meine Oma vor dem Familiengrab, in dem sie wenige Jahre später selber liegen würde. Ich erinnere mich an unseren gemeinsamen Spaziergang auf dem Friedhof, dass wir offen über Tod und Verlust gesprochen haben. All dies verbinde ich mit dem Bild. Es wäre nicht entstanden, wenn ich nicht zu ihr gefahren wäre und wir nicht Zeit miteinander verbracht hätten.

Eigentlich ist es eine tolle Sache, wenn man jederzeit zum Nulltarif solche Szenen festhalten kann. Unser Leben besteht ja nicht nur aus Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Abi-/Tanzkursabschlussball, wo aufwändige Bilder, oft von Profis, entstehen, die dann auf dem Kaminsims oder auf dem Nachtkästchen stehen. Viele verbinden auch nicht allzu viel mit solchen Feierlichkeiten, man absolviert sie, weil es dazu gehört. Das Leben findet mehr dazwischen statt. Und ich sehe es als enorme Herausforderung, Besonderheiten zu sehen und festzuhalten, wenn es die eigene Familie betrifft. So eine Feier kreativ zu fotografieren ist keine leichte Aufgabe. Einfacher ist es, einen hübschen Menschen im Sonnenuntergang vor eine Kamera zu schubsen, weil es belanglos ist, weil man sich nicht der Beziehung zu einer Person stellen muss.

Fragt man Leute, was sie im Leben versäumt haben, folgt häufig die Antwort, zu wenig Zeit mit der Familie verbracht zu haben. Warum ist das eigentlich so? Setzen wir selbst falsche Prioritäten oder werden wir von unseren Angehörigen gezwungenermaßen ferngehalten? Ich denke, jeder kann für sich selbst beantworten, welche Tätigkeiten ihm die Zeit rauben, die dann woanders fehlt.

Das höchste Ziel für einen Fotografen ist, autochthon zu sein, im Fluss, selbstvergessen im Sehen und Festhalten. Da stört die Schere im Kopf, die „Beziehungskiste“, der Alltag, die uns alle limitieren und lähmen. Wie oft klagen wir, dass die Zeit so schnell vergeht! Wir machen aber keinen Versuch, sie zu verlangsamen. Eigentlich leben wir viel zu oft an uns selbst vorbei.

Gut, dass man durch Schnappschüsse Erinnerungen festhalten kann. Ich nehme mir vor, es häufiger zu tun.

Zum 112. Geburtstag meiner Oma Else Spilling, geb. Baruch. Titelbild: Ihre Hände wenige Monate vor ihrem Tod. Am Baruch-Familiengrab mit den gravierten Namen der Eltern Johann und Margarete Baruch im Jahr 2000. Beim Baggersbraten, als sie uns das letzte Mal in Bayreuth besuchte.