Seit März 2020 habe ich es nicht mehr geschafft, nach Prag zu reisen. Dabei ist die meines Erachtens aufregendste Landeshauptstadt unserer Nachbarländer, von meiner Residenz nur eine 3-stündige Flixbusfahrt entfernt. Ich nehme es mir fest vor, bald in so ein grünes Gefährt zu springen, am Busbahnhof Florenc in die gleichnamige U-Bahn zu steigen und entspannt lächelnd in die Innenstadt zu gleiten. Nächster Halt: Karlsbrücke.
Dort springen fotogene Tibetmönche einem vor die Kamera oder das Handy und Besucher aus Israel mit Kipa und Tichel sind in Fotolaune. Wie praktisch ist es, über die Brücke zu flanieren und die ganze Welt zu treffen!
Vor ein paar Jahren hatte ich die Gelegenheit, František Kollmann zu erleben, den legendären Personenschützer von Václav Havel, der leider im vergangenen Jahr (2023) im Alter von 76 Jahren gestorben ist. Auf den Bildern sieht man, wie eine seiner typischen Grafiken mit Mischtechnik, mithilfe von Tusche, Kaffee, Bier oder Asche entsteht. Seine Lieblingsmotive waren Samuraireiter und Segelschiffe. Den Abend werde ich nie vergessen, auch wenn ich kein Wort verstanden habe. Umso mehr konnte ich mich auf sein Malen konzentrieren, und war fasziniert, mit welcher Leichtigkeit „Franta” beidhändig Fantasiewelten entstehen ließ.
Als Bayreutherin habe ich den großen Vorteil, dass wir hier einen der ältesten noch in Gebrauch befindlichen jüdischen Friedhof Europas besitzen. Ein Kleinod, durch das der Vorsteher der israelitischen Kultusgemeinde Felix Gothart seltene, aber umso faszinierendere Führungen macht.
Aber der alte jüdische Friedhof in Prag ist unvergleichlich und einzigartig. Viele Gräberschichten übereinander gestapelt wirken die Steine, wie wenn sie tanzen oder torkeln.
So viele Orte es gibt, die aus der Vergangenheit Geschichten erzählen, so ist Prag doch auch eine moderne Stadt mit lebendiger Architektur. Gefühlt jeder zweite hat hier Kunst studiert oder zumindest Ambitionen in diese Richtung. An vielen Ecken gibt es etwas zu entdecken, hochkarätige Ausstellungen, Kunstgewerbe, atemberaubende Häuser (das tanzende Haus, Ginger and Fred, s. Bild unten) bis zum sich in vielen Scheiben rotierenden Kafka-Kopf von David Černý. (s. Titelbild).
2020 wäre es soweit gewesen und Werner Thieroff (Jahrgang 1961) hätte sein 40-jähriges Bühnenjubiläum im Casino in Bad Steben gefeiert. Dieses ist jedoch derzeit immer noch gesperrt, ihr wisst warum … Der Sänger und Gitarrist zerrt scherzhaft an den Türgriffen, ihm fehle tatsächlich das Performen, die Kommunikation mit dem Publikum in Wort und Musik. Zu gerne ist er Alleinunterhalter, Stimmungsmacher, manchmal auch mit Backup, nachdem er lange in Bands gespielt hatte. Vielleicht ist dem ein oder anderen die Gruppe „Pop nach 8“ noch ein Begriff. Doch dann entwickelte sich Werner in Richtung Minimalismus, zu einer direkteren und intensiveren Interaktion mit den Menschen, die seine Musik lieben.
Ich bin ein Star, lasst mich hier rein!
Er mache das nicht des Geldes wegen, es geht also wirklich primär um die Musik, die ihn vor 44 Jahren leidenschaftlich gepackt und nicht mehr losgelassen hat. Mit 16 kaufte er sich gegen den Willen seiner Eltern eine Gitarre, auf der er dann viele Stunden am Tage klampfte, ohne zu wissen, wie man sie stimmt oder nach Noten spielt. Akkorde zeigten ihm andere. Immerhin ein Jahr später durfte er in der örtlichen CVJM-Band spielen, aber bald wollte er richtig rocken und ließ die christliche Musik hinter sich.
Ausblick in die Zukunft
Nach dem hehren Versuch, mit selbst geschriebenen Liedern in einer selbst gegründeten Band zu überzeugen, schloss er sich dann doch einer kommerziellen Coverband mit Tanzmusik an. Motorräder und Gitarren wollten finanziert werden. Sogar bundesweiter Erfolg als beste Coverband Deutschlands war ihm beschieden und bald stand die Entscheidung an, ob er sein Hobby zum alleinigen Broterwerb machen sollte.
Wer möchte da keine Gitarrenstunden nehmen?
Er scheute davor zurück und arbeitete parallel zu den Auftritten bis heute im Marketing und Eventmanagement einer Bank. Dies sei die beste Entscheidung seines Lebens gewesen, meint er im Hinblick auf die leidenden Kollegen, die sich ob der coronabedingten Umsatzausfälle kaum über Wasser halten können.
An dem Ort, wo er im Umkreis von wenigen Hundert Metern die meisten Auftritte hatte (Lichtenberg)
Werner ist aber auch ein findiger Mensch, der neue Ideen austestet. Z.B. füllt er derzeit die Aufführungslücken mit Gitarrenstunden. Eine gute Sache in Zeiten von lockdowngeplagten Kindern und Jugendlichen, die sich so kreativ mit Musik und Singen beschäftigen können. Wie ich finde, die beste Beschäftigungstherapie.
Werner spielt den Blues …
Werner gibt also heute seine alte Liebe zur Musik an die nächsten Generationen weiter, bis er – so hofft er – wieder an sein altes Leben als Performer anknüpfen kann.
In diesem Podcast erfahrt ihr u.a., was seine Meinung zur momentanen Notlage ist und welche Strategien er zur Bewältigung einsetzt:
Am 15.11.20, einem wunderschönen Spätherbsttag, traf ich mich mit Silvan Ruprecht in Nürnberg an zwei seiner Lieblingsorte. Wir kannten uns schon von einem gemeinsamen Fotoprojekt in meinem Fotostudio in Bayreuth ein paar Jahre zuvor und hatten immer vorgehabt, ein weiteres Shoot in einer Outdoorlocation durchzuführen. Dann fragte ich ihn kürzlich, ob er mir bei der Gelegenheit nicht auch von seinen Überlebensstrategien in der Coronazeit erzählen wollte. Und er wollte!
Pam Hallo Silvan, du bist Tänzer in Nürnberg und du hast natürlich auch in der Coronazeit viel an Umbruch erlebt, es hat sich viel verändert, erzähl mal, wie ist es dir in den letzten 6 Monaten ergangen?
Silvan Die Coronazeit war für mich am Anfang ein ganz großer Schlag. Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte, es hat mich zutiefst getroffen. Mein Leben wurde von 100 auf komplett 0 heruntergefahren. Ich möchte eigentlich nicht emotional sein, aber in den ersten paar Tagen gemerkt, es muss eine Lösung her, ich habe sogar Tränen vergossen, weil mir wurde meine Leidenschaft, mein Dasein als Tänzer und als Tanzlehrer auf einmal genommen und es war keine Möglichkeit da, auf die Bühne zu gehen oder zu unterrichten. Erst später kam nach und nach technische Möglichkeiten, online Kurse zu geben.
Pam Wie kann das funktionieren?
Silvan Wie geht das? Online und Live-Übertragung über soziale Netzwerke und Medien, die wir nutzen. Es ist ein Bestandteil unseres Lebens und unserer Arbeit geworden, wir bestellen übers Internet, schauen Streams übers Internet und jetzt kann man auch Sport bzw. Tanzkurse übers Internet machen.
Pam Jetzt geht es auf einmal … vorher konnte man sich das nie vorstellen
Silvan Richtig, ja. Klar, es ist natürlich wichtig, dass man sich aus dem Nichts ein technisches Equipment zulegt, was natürlich wie bei den anderen Künstlern, wie Fotografen oder Maler, die vielleicht auch auf digital umsteigen auch ein zusätzlicher Aufwand ist, es zu beschaffen und sich einzuarbeiten. Wir müssen einen anderen Regler nach oben bringen und da uns jetzt weiterentwickeln, unseren Horizont erweitern, was ist möglich und fächerübergreifend auch über verschiedene Medien zusammenzuarbeiten.
Pam Hast du eine Überbrückung bekommen? Der bayerische Staat hat auch für Soloselbstständige Gelder zur Verfügung gestellt.
Silvan Ich habe einen Antrag gestellt, habe aber leider nie etwas bekommen.
Pam Das Problem ist auch, dass man es nicht fürs Leben, für Essen und für die Miete verwenden darf, sondern nur für Betriebskosten verwenden darf, aber als Tänzer hat man ja kaum Betriebskosten.
Silvan Das soll sich ja jetzt für Soloselbstständige ändern. Die Frage ist, ich traue der ganzen Geschichte nicht, dass es mit Zurückzahlung verbunden ist. Ich habe Gottseidank viel Unterstützung von Familie, Schülern und meinen Kollegen erfahren, die mich emotional, aber auch mit Rat und Tat unterstützen, Hilfe bei Technischem, Foto und Video bekommen.
Das sind Lichtblicke in der düsteren Stimmung und helfen, die Angst zu durchbrechen. Es geht darum, dass man sich sammelt, konzentriert, dass man einfach auf andere Art und Weise sein Geschäft, sein Dasein voranbringt. Man weiß nicht wohin die Reise hingeht, man probiert was, entwickelt was und man hält zusammen.
Pam Hast du den Eindruck, dass du aus dieser Krise, aus diesem Umbruch in deinem Leben etwas gewinnen kannst?
Silvan Ja, natürlich. Wie die erste Welle kam, wie der erste Lockdown im März war, hatte ich Gottseidank auch die Zeit zu reflektieren, wie weit bin ich gekommen, was sind meine Wünsche, was sind meine Bedürfnisse, in mich zu schauen und zu sagen, wo möchte gerne ich im nächsten Jahr stehen, was kann ich für mich tun, was kann ich für meinen Körper tun. Wo kann ich zusagen, oder vielleicht wo auch mehr nein sagen vielleicht, konzentrierter in gewissen Projekten sein. Mich sammeln …
Pam … stärker selektieren, auswählen. Ich sage das deswegen weil es mir genauso gegangen ist. Ich habe einfach Sachen aufgegeben, wo ich sage, eigentlich brauche ich die nicht. Die behindern mich eher.
Silvan Wir leben mit dem Unwichtigen, weil wir dran gewöhnt sind. Plötzlich bricht vieles weg und man sortiert, man schaut genauer hin, schaut zwischen die Zeilen und man merkt, man braucht es nicht, kann es weglassen, es macht nur Unruhe in Körper und Geist und bringt einen nicht voran. Wenn man das realisiert, das ist wie ein Befreiungsschlag und man denkt sich, es geht auch so. Man kommt zur Ruhe und zu einem neuen Selbstbewusstsein, weil man doch was geschafft hat trotz Lockdown, man hat mental gearbeitet, etwas für sich gemacht und das sind Stärken, die man entwickeln kann in dieser Zeit. Man muss dran bleiben, ein Ziel, eine Vision haben, dann wird es positiv und man kann in diese Richtung weitergehen.
Pam Wenn man eine Krise überwunden hat, dann stärkt das dich?
Silvan Definitiv. Weil man weiß, wo man steht, wenn man 3 oder 4 Monate überstanden hat, dann weiß man, beim nächsten Lockdown, was kann ich optimieren, was kann ich machen und von den vielen neuen Ideen umsetzen, die ich vorher aufgeschrieben hatte. Man muss nicht Risikos eingehen, aber schauen, was bringt mich meinem Ziel näher. Oder stecke ich mir andere Ziele, gehe in andere Richtungen. Das bleibt spannend, was diese Entwicklung mit sich bringt.
Pam Tänzer sein ist eine temporäre Sache. Irgendwann ist das Alter da, wo man andere Dinge tun muss. Einen Plan B muss man in diesem Beruf entwickeln.
Silvan Ja, nach einem gewissen Punkt kommt das. Entweder man bespricht man mit guten Freunden oder dem Partner zusammen, was ist der Plan B, was liegt einem, welche Stärken habe ich. Das ist wie in einem Bewerbungsgespräch, sich die gleichen Fragen stellen, wo will ich hin, wenn die Tänzerkarriere auf der Bühne abgeschlossen ist. Man kann zwar noch ziemlich lange noch tanzen in kleineren, modernen oder abstrakten Projekten auf der Bühne stehen. Man muss abwägen, möchte ich das weiterhin haben oder werde ich nur hinter der Bühne stehen, inszenieren, choreographieren. Ist das mein nächstes Ziel. Viele Tänzer gehen diesen Weg und machen ihre eigenen Choreographien und Videoprojekte. So kommt man auch irgendwann in Kontakt, schaut dem anderen über die Schulter, lernt voneinander und bereichert sich gegenseitig. Das kann wieder ganz neue tolle Impulse und Zusammenarbeit bringen.
Pam Du hast mir erzählt, ihr arbeitet an einem Projekt, einer Aufführung in der Konzerthalle in Bamberg.
Silvan Das nächste Tanzstück im April heißt „Die vier Elemente“, choreographiert von Melanie Day. Sie hat mit uns das Ensemble die MDance Company gegründet und wir hatten schon in 2019 eine Premiere: „Tango Nights“. Es wird noch größer, spannender, noch mystischer und erlebnisreicher
Pam Ich bin auf jeden Fall dabei. Ich komme unbedingt nach Bamberg und schaue mir das an.
Hat sich schon jemand Gedanken gemacht über ein Hygienekonzept? Oder kannst du das abgeben, dass du dich als Tänzer nicht auf sowas konzentrieren musst
Silvan Wir als Tänzer sind tatsächlich nur dafür da, unsere Show zu machen und ich glaube, nur die Stadt Bamberg muss ein Konzept präsentieren und sich das von München absegnen lassen.
Pam Die Konzerthalle ist ja ein ganz modernes Gebäude mit Abluft- und Klimatechnik. Riesig, da dürfte es kein Problem mit Abstand und Einbahnstraßen für Ein- und Ausgänge geben.
Silvan Man hat Luft und Platz dort, das Ganze so gut umzusetzen, dass wirklich nichts in Frage gestellt wird.
Pam Du hast gesagt, es war sehr emotional für dich, als du gemerkt hast, hier kommt ein Lockdown, das Leben wird angehalten, man wird sozusagen zwangsentschleunigt.
Silvan Man wird gezwungen, das war das Schlimme, weil man es selber nicht verhindern konnte. Man ist ja bereit, zu arbeiten, etwas zu leisten. Wie heißt es so schön, ich hatte mein Hobby zum Beruf gemacht und ich konnte mir nicht vorstellen, auf einmal nichts mehr zu machen und mir war schnell klar, ich muss meine eigenen Kurse online geben und mithilfe meiner tollen Kollegen, denen ich 1000mal dankbar bin, dass sie mich mit Werbung, Flyer und Videos unterstützt haben. Auch im zweiten Lockdown findet das wieder statt. Ich mache bei meinen eigenen Kursen alles auf Spendenbasis. Ich verlange kein Geld, weil ich weiß, wie das ist, wenn man Miete zahlen muss, aber auch noch Sport machen möchte, sich das aber nicht leisten kann. Ich biete das auch für 0 Euro, oder wenn jemand 5 Euro geben kann, an. Ich freue mich, wenn ich jemandem eine Freude machen kann.
Pam Super! Findest du den zweiten Lockdown nicht so schlimm wie den ersten?
Silvan Er ist nicht mehr so schlimm, denn ich weiß jetzt was mich erwartet, kann mich schneller anpassen und agieren.
Pam Wie ist momentan der Probenalltag möglich?
Silvan Gar nicht. Das lässt die Regierung nicht zu. Erst wenn der Inzidenzwert auf 50 fällt, dann können wir wieder proben. Da müssen wir aber abwarten, wie die Stadt Nürnberg entscheidet.
Pam Könnt ihr eure Rollen einzeln einstudieren oder über Zoom kommunizieren?
Silvan Die Proben beginnen erst im nächsten Jahr. Wir haben auch Gäste da, die nicht aus Nürnberg sind, die können nicht 3 oder 4 Monate hier bleiben, die Probezeit muss daher komprimiert werden Sonst streckt sich das noch länger und es ist mit Kosten verbunden.
Pam Ihr müsst ja eine Location haben, wo ihr proben könnt. Wo kommt die Musik her?
Silvan Es gibt kein Live-Orchester, das würde noch mehr kosten. Die Songs kommen aus der Konserve. Leider können wir uns das nicht leisten wie beim Musical oder Staatstheater. So groß sind wir nicht. Das wäre ein Traum, aber das ist leider nicht möglich. Das muss vom CD-Player abgespielt werden.