Februar 2016

Bildinhalt auf der Flucht

Ein paar ungeordnete Gedanken zur Street Photography

Es gab eine Zeit, da fotografierte ich Dinge, um zu sehen, wie sie fotografiert aussĂ€hen. Kerzenflammen, Orchideen, BĂ€ume und Graffitimauern. Aber wenn ich die Bilder heute betrachte, haben sie eigentlich nur noch einen dokumentarischen Wert. Ich erinnere mich an die zeitweise langweilige Familienfeier, bei der die Tischdeko herhalten musste, weil die Anwesenden mir SchlĂ€ge androhten, wenn ich nicht sofort aufhören wĂŒrde, Aufnahmen von ihnen zu machen. Kennt man.

Und doch sind Bilder mit Menschen wesentlich interessanter. Nehmen wir alte Stadtansichten, gerade die Kleidung und die Frisuren der Passanten geben der Straße, die man jetzt in stark verĂ€nderter Form kennt, das Gesicht der Zeit. Wie gut, dass kurz nach Aufkommen der Fotografie die Leute geradezu wild darauf waren, sich in GrĂŒppchen aufzustellen, um mit aufs Bild zu kommen, war das doch damals etwas ganz besonderes. Zeitgenössische Streetfotografen können ein Lied davon singen, wie fotoscheu wir im Zeitalter der Handyknipser- und Facebookposterei geworden sind. In Deutschland grenzt das teilweise an Fotoparanoia (<– gibt es das ĂŒberhaupt als Begriff?)

Also Street-Fotografie scheint die grĂ¶ĂŸte Bedeutung nach Ableben aller Beteiligter zu haben, worauf das faszinierende Beispiel von Vivian Maier hinzuweisen scheint. Zeit ihres Lebens hat sie viel Filmmaterial belichtet, von dem der Großteil wegen Geldknappheit niemals entwickelt wurde. Vielleicht war dem fotografierenden KindermĂ€dchen auch die TĂ€tigkeit an sich wichtiger als das Auswerten der Negative 
 Heute sind die Bilder ein unglaublicher Schatz fĂŒr die Nachwelt, der sich von den 1950er Jahren bis kurz vor ihrem Lebensende 2009 ansammelte.

http://www.vivianmaier.com

Wer heute mit gezĂŒckter Kamera durch die eigene Heimatstadt flaniert oder im Urlaub unbekannte Lebenswelten fotografisch erkundet, muss wissen, dass er sich nicht im rechtsfreien Raum bewegt:

http://anwalt-im-netz.de/urheberrecht/recht-am-eigenen-bild.html

street1

Einer der bekanntesten zeitgenössischen Vertreter der Street Photography ist Thomas Leuthard.

Auf seiner Webseite kann man geniale Galerien und kostenlose E-Books zum Thema finden:

http://thomas.leuthard.photography

In meinem nĂ€chsten Auslandsurlaub werde ich wieder rĂŒckfĂ€llig werden und armen Passanten fotografisch nachstellen. Street Photography ist fĂŒr einen Fotografen mit Anspruch allerdings problematisch, weil sie anonym ist und dem Zufall unterworfen. Als Reisezeitvertreib reizvoll, aber fĂŒr die eigene Portfolioarbeit nicht zielfĂŒhrend. Hier bevorzuge ich lieber Projekte mit direktem Personenbezug.

Mein nĂ€chstes Vorhaben sind Parcours-KĂŒnstler in Bayreuth, wenn sich das Wetter bessert.

To be continued!

Draganismus ist der Kevinismus der Fotografie

Es geschieht tagtĂ€glich in Deutschland, frischgebackene Eltern geben ihrem Sprössling den Namen „Kevin“ (weibliche Form „Chantal“ wie in Chantalismus).

FĂŒr sie ist das Neugeborene unvergleichlich und einzigartig und verdient deshalb einen diese Tatsache wiederspiegelnden Namen. Es gibt natĂŒrlich noch Varianten zum Thema, „Jayden“ kommt mir in den Sinn oder „Britney“. Allen Namen gemeinsam ist die Wurzel im Englischen und die eingedeutschte Aussprache, gerne auch mit oberfrĂ€nkischem Zungenschlag, „TschĂ€idn“ oder „Delli“ (als AbkĂŒrzung fĂŒr die englische Aussprache, „Schantell“), auch französische Versionen des letzteren sind im Gebrauch.

Ich möchte nicht weiter auf dieses PhÀnomen eingehen, hat es doch ein satirischer Wikipedia-Klon bereits erschöpfend dargestellt:

Link zum Uncyclopedia-Artikel ĂŒber Kevinismus (Chantalismus)

Nein, ich möchte den allseits beliebten Dragan-Effekt beschreiben, der meines Erachtens als Pendant fĂŒr diese Namensentgleisungen gelten kann. Man nehme ein völlig unspezifisches PortrĂ€t eines bĂ€rtigen und vielleicht auch wettergegerbten Ă€lteren Mannes (geht auch mit weniger bĂ€rtiger Großmutti) und erhöhe den Mittelkontrast so lange bis ein dunkles, dramatisches Bild entsteht, gerne in Schmutzigbraun oder Schwarz-Weiß, mit Betonung auf Schwarz:

Link zum Wikipedia-Artikel ĂŒber den Dragan-Effekt

In der Bildbearbeitung gibt es ja viele Möglichkeiten, die eigene Ideenlosigkeit oder schlicht auch die Fadheit des fotografierten Bildes mit einem Filter oder einer Aktion auf interessant zu trimmen. Da gibt es TeilentsĂ€ttigungen (oder auch Color Key, d.h. alles im Bild ist schwarzweiß, nur die roten Rosen des Hochzeitsstraußes bleiben farbig), die ebenfalls keinen alten Hund mehr vor dem Ofen hervorlocken. Wir erinnern uns, wir leben in einer Zeit, da Milliarden von Bildern tĂ€glich in den Social Media hochgeladen werden, unsere Aufmerksamkeit zu erheischen.

Auch hier glaubt der Fotograf, der das Bild erzeugt hat, dass es unvergleichlich ist, und deshalb eine besondere Bearbeitung verdient. (Ich möchte jetzt nicht erwĂ€hnen, dass hochbegabte Kinder eher „Benjamin“ oder „Johanna“ heißen.) Also ein cooler Filtereffekt macht noch kein gutes Bild. Ein interessantes Foto mit einer verblĂŒffenden oder faszinierenden Bildaussage braucht auch keine Draganisierung. Es ist ferner anzunehmen, dass die Menschen, deren PortrĂ€t so auf Mittenkontrast gequĂ€lt wurden, diese nie zu sehen bekommen. Wer will schon aussehen wie ein HundertjĂ€hriger im zarten Alter von 76?

Eine im Gegensatz dazu beliebte Spielart ist die mĂ€rchenhafte Weichzeichnung von erstaunlich normalen MĂ€dchenportrĂ€ts ins Feenhafte und Ätherische. Wer solche digitale Filterorgien anwendet, kann sich sicher sein, dass sich eine Schlange vor dem heimischen Fotostudio bildet. Blumen-Headsets, rĂŒschige Kleider und wallende UmhĂ€nge sind wichtige Zutaten des Erfolgsrezepts (die Zielgruppe ist allerdings nicht sehr kaufkrĂ€ftig).

Nach all der Polemik kann ich nur sagen: „There is no free lunch“. Auch nicht im digitalen Bilderschaffen. Eine kostenlos aus dem Internet geladene Dragan-Photoshop-Aktion macht Dich nicht automatisch zum begnadeten Bildbearbeiter. Ich möchte noch hinzufĂŒgen: „Weniger ist mehr“ – ein Slogan, der immer geht. Macht einfach weniger, dafĂŒr bessere Aufnahmen. Mist, auch beim Blogschreiben gilt das Prinzip, dass das Ergooglen von mehr oder weniger passenden Zitaten kein Konzept ersetzen kann.

Aber, abschließend gesagt – ich kann nicht anders, es ist stĂ€rker als ich: „Erlaubt ist, was gefĂ€llt“.

SUPERpixel vs. CameraMAN

Fotografierende Bildbearbeiter

Die Freunde des Photoshopbastelns brauchen stĂ€ndig Material fĂŒr ihre Compositings und Pixelschubsereien. Was liegt nĂ€her, als eine Digitalkamera neueren Datums zu zĂŒcken und auf alles zu halten, was nicht bei drei auf dem Baum ist? Heutzutage ist es auch kein Hexenwerk mehr, einen Chinablitz aufzustellen nebst Lichtformer und das fotografische Objekt vor einen einfarbig-neutralen Hintergrund zu platzieren. Vor nicht allzu langer Zeit war das die DomĂ€ne von Fotografenmeistern mit HWK-Mitgliedschaft und zudem mit erheblichen Investitionen verbunden.

Ein Bildbearbeiter kann im Prinzip ĂŒberall fotografieren, wo das Licht ihm zusagt, also auch draußen bei wolkigem Himmel und danach tauscht er nach Herzenslust HintergrĂŒnde aus und fĂŒgt noch andere GegenstĂ€nde ins Bild ein, er komponiert, was das Zeug hĂ€lt, gleicht Farbstiche aus oder fĂŒgt Farbigkeiten hinzu.

Manch einer rĂŒmpft darĂŒber die Nase, Ă€hneln die Bilder doch oft GemĂ€lden, jedoch ohne Pinselstrich,  eher kĂŒnstlich-gepixelt, je nachdem wie arg es der Digital Artist ĂŒbertrieben hat.

Bekanntester Vertreter dieser Zunft ist Calvin Hollywood, der mit seinen ausgetĂŒftelten Bearbeitungstechniken noch aus jedem faden Bild ein interessantes Werk zaubern konnte und netterweise auch bereitwillig anderen zeigt, wie sie das auch so hinbekommen können. Calvins Blog

SelbstverstĂ€ndlich gehöre ich auch zu dieser Gattung der ComputertĂ€ter. Fotografieren empfinde ich als anstrengend und schweißtreibend. Am liebsten unterhalte ich mich gemĂŒtlich kaffeetrinkend mit meinen Models und deren Begleitpersonen. Ich plane maximal zwei Shoots pro Tag und versuche, nicht lĂ€nger als eine gute Stunde fĂŒr jede Session aufzuwenden, da die besten Aufnahmen bei mir sowieso am Anfang entstehen, wenn ich noch voll konzentriert bin. Kaum fĂŒllt sich meine Karte mit Bildern, werde ich hibbelig und möchte zur Postproduktion schreiten, aber hurtig. Schnell alle Leute heimschicken und in den Fotoladen abtauchen.

Bildbearbeitende Fotografen

Ich verlasse also den mir bekannten Pfad als Dilettantin hinter der Kamera und blicke auf die andere Seite, die Menschen, die leidenschaftlich gerne unterwegs oder stundenlang mit wachsender Begeisterung im Studio fotografieren. Wer Peter Lindbergh kennt, weiß, der rennt auch noch im hohen Alter mit seiner Kamera durch Paris, zig Stunden lang. Wahnsinn!

Jay Maisel, der ebenfalls im fortgeschrittenen Alter noch tagelange Workshops zum Thema Street Photography gab (momentan pausiert), fetzt seit 60 Jahren durch Manhattan. Das muss man mal gesehen haben (es gibt ein Video-PortrĂ€t ĂŒber Jay).

Was beiden Vollblutfotografen gemein ist, sind Angestellte, die den digitalen Workflow ab Fallenlassen der SD-Karte ĂŒbernehmen. Dampfmaschinen wie Peter oder Jay kann man nicht stundenlang hinter einem Computerbildschirm Pixel zĂ€hlen lassen.

Superman und/oder Batman

In der Schule gab es die Sportskanonen und die TĂŒftler, die Schach spielten. In der Medizin gibt es die durchgreifenden SkalpellkĂŒnstler und die Analytiker Ă  la Dr. House. In der Fotografie gibt es die Fotografen und die Bildbearbeiter. Sicher ist es möglich, dass man beides gut kann, aber eines wird einem immer mehr liegen.

Jeder Bildbearbeiter, der fotografiert, ist gefordert, sich mit den fotografischen RealitĂ€ten auseinanderzusetzen, Studioblitze sorgfĂ€ltiger ein-/aufstellen (ach, da nehme ich einen Spotstrahler auf einer Ebene mit Modus weiches Licht), dem Model erklĂ€ren, worauf es beim Posing ankommt (hm, da verflĂŒssige ich am Bildschirm ein bisschen), nur nicht hudeln!

Die andere Seite der Medaille

Wenn ich Bilder im Internet anschaue von bekennenden Photoshop-Abstinenzlern, finde ich gute Aufnahmen, denen irgendetwas fehlt, das gewisse Etwas, das es braucht, denn heutzutage geht man in der Fotoflut unter, wenn man nicht digital aufpeppt.