Januar 2016

Textil vs. Haut

Maximale Bildwirkung im Porträtshoot

Als ich 2009 damit anfing, regelmäßig Menschen in meinem Fotostudio abzulichten, wurde mir schnell klar, dass Textilknappheit zwar grundsätzlich grenzwertig ist, aber für den Gesamtbildeindruck wichtig sein kann. Ganz im Sinne der Verdichtung versucht der Fotograf den Blick auf das Wesentliche, die Persönlichkeit, zu konzentrieren. Rotkarierte Hemden oder goldglänzende Abendkleider dagegen drängen sich optisch stark auf und konkurrieren mit dem eigentlichen Bildinhalt, sie lenken von der Person letztlich ab.

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Textilien, vereinzelt oder gruppiert

Es ist also eine gute Idee, wenn man vor dem Shoot ausmacht, welche Outfits getragen werden sollen. Bei hellen Bildern sind einfarbige beige, hellgraue oder weiße Kleidungsstücke, vor schwarzem Hintergrund eher dunkle und gedeckte angesagt, um störende Kontraste zu reduzieren/vermeiden. Gerade bei Gruppenbildern ist farbliche Abstimmung ein Muss, es sei denn es soll wirklich kunterbunt sein. Es kommt vor, dass Gruppen das wünschen, manchmal entsättigt man das Bild dann stark oder macht es gleich schwarz-weiß.

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Fashion vs. Porträt

Selbstverständlich bewegen wir uns hier nicht auf dem Gebiet der Modefotografie, da fungiert das Model mehr als lebendiger Kleiderständer, sondern es geht um Bilder, die Gesicht und Oberkörper inkl. Hände zeigen, also klassisches Porträt. Wer bei Textilknappheit gleich an Aktfotografie denkt, schießt über das Ziel hinaus, denn hier ist es gerade die Nacktheit, die die Bildrezeption in eine unerwünschte erotische Richtung lenkt. Ebenfalls sei wieder ergänzt, dass auch das beabsichtigt sein kann.

Persönlichkeit pur

Auch wenn der alte Gemeinplatz „sex sells“ im Zeitalter von youporn nicht mehr ganz so greift, so sind doch die meist geklickten und ge“like“ten Bilder auf Fotoportalen in der Kategorie „Kopfkino“ anzusiedeln. Die dargestellten Personen sind meist austauschbar, Posing und Blick stereotyp. Der (tendenziell männlichen) Zielgruppe gefällt sowas natürlich immer wieder aufs Neue. Individualität jedoch muss eine angemessene Ausdrucksform finden, der Mensch in seiner Einzigartigkeit in dem jeweiligen Lebensabschnitt soll herausgearbeitet werden, das setzen wir uns zum hehren Ziel.

Location vs. Studio

Wenn man die Person nicht in ihrer gewohnten Umgebung ablichten kann, z.B. eine Hobbygärtnerin im Blumenbeet oder einen Musiker im Konzertgraben, dann findet man sich meist zusammen in einem Fotostudio, also in einer ganz besonders reduzierten Umgebung, wieder. Gleichförmiger Hintergrund, geformtes Blitzlicht schaffen eine fast abstrahierte Atmosphäre, hier sitzt man wirklich wie auf dem Präsentierteller (oder auf dem Zahnarztstuhl, wie böse Zungen gerne behaupten).

Die künstliche Situation dieses Raumes letztlich ist es, die mich dazu bringt, das Motiv anzupassen, ihm fremde Strukturen zu nehmen und lebendiger scheinen zu lassen. Z.B. könnte eine Frau ein ärmelloses Top anziehen, und damit Arme und Dekolleté zeigen. Das natürlich nur, wenn diese Art von Ausdruck zur Persönlichkeit des Fotografierten am besten passt. Nicht jedes Bild gefällt besser, wenn man mehr sieht, sich z.B. ein Mann das Hemd weiträumig aufknöpft, es gewinnt aber auf jeden Fall an Ausdrucksstärke. Mancher fühlt sich in seiner Haut unsicher, andere bewegen sich völlig natürlich am FKK-Strand, das muss berücksichtigt werden. Vielleicht möchte sich auch jemand bewusst verhüllen oder verkleiden.

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Gratwanderung

Da Fotografie schon an sich ein eher oberflächliches und triviales Medium ist, ist die Frage, wieviel Fläche seines Körpers man zeigen möchte, ein Grenzgang. Kleider machen Leute, aber Haut schafft Persönlichkeit: Falten, Leberflecke, der Grad der Bräunung oder deren Abwesenheit, Zartheit, Wettergegerbtheit, all das vermittelt noch mehr Information über den Menschen aus Fleisch und Blut, der in die Zweidimensionalität einer Leinwand oder eines Fotoabzuges im Rahmen gebannt wird.

Nach vielen durchgeführten Shoots mit verschiedenen Menschen ist mir auch klar, dass das Thema kein einfaches ist und man als Fotograf oft andere Vorstellungen über die mögliche Ausdruckskraft eines Porträtbildes mitbringt. Deshalb ist ein Vorgespräch unerlässlich.

Die Frage aller Fragen (Fotografenversion)

Die Frage, die sich wohl jeder Fotobegeisterte einmal stellen muss:

Warum fotografiere ich eigentlich?

Warum stehe ich früh um 4 vor Sonnenuntergang auf und krabble mit Stativ auf einen Berg im Fichtelgebirge, um vom Asenturm aus Bilder von den in orange getauchten Nadelbaumwipfeln zu machen? Sagte ich ich? War symbolisch gemeint, ich würde auch im Antilope Canyon erst um die Mittagszeit eintrudeln, denn Landschaft ist nicht mein Thema.

Urbanes Leben dagegen schon. Im Mai 2015 sprintete ich um 5 auf die Brooklyn Bridge in New York, um die Skyline bei Sonnenaufgang zu fotografieren. Ein Motiv, das jeder kennt und möglicherweise auch schon selber in Bits und Bytes verewigt hat. Warum quält man sich dafür aus dem Bett? Bei allen Microstockanbietern bekommt man für ’nen Appel und ein Ei wesentlich schönere Fotos vom Big Apple zu allen Tages- und Jahreszeiten.

Olaf Giermann schreibt auf dem Docma-Blog

Fangen wir von Sehenswürdigkeiten gar nicht erst an … Die wurden schon von Millionen Menschen vor Ihnen fotografiert! Von allen Seiten. Egal wie gut Sie sind, es gibt mit hoher Wahrscheinlichkeit aktuell, früher oder später immer jemanden, der das irgendwie besser oder irgendwie anders kann.

Warum sollten Sie also überhaupt noch fotografieren? Es gibt doch schon tausende Fotos davon!

Wenn Sie so denken, sind Sie in die größte Stolperfalle der Fotografie und des Bild-Erschaffens gelaufen: Sie denken über den Sinn des Ganzen nach!

Wenn Ihre Fotografie keinen rein kommerziellen Hintergrund hat – Sie also keinen monetären Zwängen unterliegen und sich nicht dem Geschmack des Großteils Ihrer Konsumenten beugen müssen –, sollten Sie sich um all diese Überlegungen überhaupt nicht scheren. Halten Sie sich also nie davon ab, etwas zu fotografieren, was bereits jeder vor Ihnen fotografiert hat. Denn SIE SELBST haben es noch nicht fotografiert und SIE SELBST haben das allseits bekannte Motiv noch nicht nach Ihren eigenen Vorstellungen bearbeitet!

Mit eigenen Worten würde ich das dann so umschreiben wollen: Der Fotograf ist hier ein Sammler. Er will das Motiv auch haben und selber bearbeiten als eine Art Trophäe. Das leuchtet mir ein. Weniger plakativ könnte man auch sagen, die eigenen Urlaubserinnerungen wollen festgehalten werden, da bietet sich Fotografie doch geradezu an.

Was aber, wenn ein Sinnsucher durch den Sucher schaut?

Der fotografiert natürlich genauso gerne mal zum Selbstzweck, aber dann braucht er ein menschliches Thema, das fesselt und berührt und ein längerfristiges Projektvorhaben entsteht:

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Das spannendste Motiv …

… ist immer noch der Mensch. Es gibt Personen, die wurden zigtausendmal abgelichtet, obwohl sie im konventionellen Sinn gar nicht schön sind, da fällt mir spontan Barbra Streisand ein. „Diese Nase, mein Lieber …” 

In der hollywoodfernen Familie sind natürlich die eigenen Kinder oder Eltern das meist fotografierte Motiv. Das Aufwachsen und das Altwerden sind natürliche Phasen unseres Lebens und so können wir die Erlebnisse zumindest einfrieren, auch wenn wir die Menschen einmal gehen lassen müssen (manchmal leider viel zu früh).

Vielleicht ist die Angst vor Verlust und Vergessen eine der stärksten Triebfedern für den Erinnerungsarchivar hinter der Kamera.

Inszenierung auf dem Kindergeburtstag

Wenige dieser Familienbilder sind ungestellt und authentisch. Schon wenn man jemand zum Lächeln auffordert, verfälscht man z.B. den Ausdruck des Filius in der fotografisch höchst interessanten Trotzphase. Kaum etwas ist gestellter als ein Gruppenbild … „Und jetzt alle Daumen hoch!”

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Warum fotografiere ich?

Ich fotografiere, weil mich Menschen interessieren, im Idealfall kann ich die Persönlichkeit zeigen. Vielleicht kann der Betrachter das Bild gar nicht richtig deuten, weil man nur bis zu einem gewissen Grad so etwas Komplexes wie Persönlichkeit in einem Frame darstellen kann. Ich kenne nur wenige Menschen, die vor der Kamera so ganz sie selber zu sein scheinen, dass man glaubt, sie nur vom Anschauen persönlich zu kennen.

Vielleicht ist auch das nur ein Trugschluss, aber wer sagt, dass Fotografie ohne Risiken und Nebenwirkungen auskommt … in diesem Spannungsfeld von Inszenierung und Authentizität operieren wir bei jedem Shoot wie am offenen Herzen.

Wer glaubt, dass er nur einen Termin mit einer fremden Person auszumachen braucht und sofort zu kongenialen Ergebnissen kommt, ist ein großer Optimist. Mein Vorbild Annie Leibovitz sagt, dass sie mindestens einen halben Tag braucht, um einen Menschen kennen zu lernen, und auch im Vorfeld ihre Hausaufgaben machen muss, um möglichst viel Information über den zu Porträtierenden zu sammeln.

Erst Konzept, dann knipsen

Die gezeigten Beitragsbilder sind in Zusammenarbeit mit Tessa-Jean Cook entstanden.

Auf Facebook

Wir hatten uns getroffen, um das Thema „Verzweiflung“ oder vielleicht auch „Verletzlichkeit“ auszudrücken, Themen, die wir in unserer Biografie zeitweise gerne ausgeklammert hätten.

Hier schreibt Tessa über ihre Gedanken zur Kunst:

Tessa speaks her mind

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„Ein Foto ist nur ein Bild, wenn ein Mensch drauf zu sehen ist“

Da immer ein Fazit angemahnt wird, möchte ich mit diesem Zitat von mir selber schließen.

Wo meine Reise hinter dem Sucher hingeht, weiß ich nicht. Tatsache ist, dass mich dabei immer Menschen vor dem Sucher begleiten. Nur in der People Fotografie findet eine Interaktion bildentscheidend statt. Deshalb darf das Fichtelgebirge gerne ohne mich weiterhin im Sonnenaufgang erstrahlen.

Simplify your Fototasche

Alle Jahre wieder im Januar ist es soweit und mein Blick schweift über die Kameras und Objektive, die Staub gefangen haben, die Stirn dabei sorgenvoll gerunzelt, denn nichts verliert so schnell an Wert wie elektronische Geräte von Vorgestern. Den Staublappen her und abgewedelt, was ein paar Tage später bei Ebay angepriesen und verscherbelt wird.

Morituri te salutant

Zum Abschuss in der virtuellen Auktion wird freigegeben, was in den letzten Monaten nur wenige Male zum Einsatz kam. In meinem Fall tragischerweise ein ganzes System, nämlich die Sony A6000 nebst einigen Festbrennweiten und Zoomobjektiv.

Was war passiert? Hoffnungsfroh gekauft wegen ihrer unglaublich schnellen Actionfähigkeiten, prädiktivem AF und Serienbildern à la Maschinengewehr, dann letztlich überflüssig geworden durch das obligatorische DSLR-Upgrade im letzten Jahr (Nikon D600 auf D750) mit verbessertem AF-System.

DSLR vs. DSLM (Spiegel vs. Mirrorless)

Und hier war es auch schon wieder, das Dilemma der fotografischen Neuzeit: großer schwarzer Brocken mit Schwungspiegel und Fensterguckloch oder kleines elektronisches Bildcomputerchen mit digitalem Wysiwyg-Sucher (What you see is what you get). Der Leser ahnt es vielleicht schon, der Trend geht bei mir eher wieder zurück zur DSLR, der digitalen Spiegelreflex.

„Akkusauger“

Die Sony-DSLM (Wechselobejektivkamera ohne Spiegel) ist ein kleines Elektronikwunder und alles an ihr braucht Strom, d.h., eigentlich muss man sie fast immer vor einem Spontanshoot mit einer frischen wiederaufladbaren Batterie bestücken. Nicht, dass der Eindruck entstehe, dass ich keine Spiegellose mehr besäße, tue ich schon, denn der Vorteil dieser Kameraart ist ihre Kompaktheit. Eine DSLR ist groß und wuchtig, wer stundenlang mit sowas auf Veranstaltungen fotografiert, hat Muckis oder am nächsten Tage Muskelkater.

Kleinbild sticht APS-C

Also bei mir musste das letzte Gehäuse mit kleinerem Sensor gehen, unter 35er Format läuft nichts mehr, die Sony A7 – ihres Zeichens mit Vollformatsensor – darf als Zweitkamera bleiben, weil sie in der Fototasche nicht arg aufträgt. Sie kommt aber nicht oft zum Zuge. Warum?

Mir schwante Arges bereits im letzten Urlaub, als ich mein Nikon-Geschütz durch die Straßenschluchten von New York wuchtete. Irgendwie wollte ich keine Kompromisse fotografischer Art mehr eingehen. Also blieb mir nichts anderes übrig, mit dem schnelleren AF und der besten Bildqualität zu operieren. Die A7 fokussiert langsam und wurde durch die damalige D600 bei wenig Licht deklassiert. Die D750 ist jetzt in fast allen Disziplinen davongezogen. Oft habe ich auch noch einen Aufsteckblitz mit Lichtformer im Blitzschuh stecken und das balanciert sich auf einem leichten Gerät denkbar schlecht.

Und? War’s das?

Für mich erst mal ja. Sony arbeitet zwar mit Hochdruck daran, ihre A7-Reihe schneller zu machen und mit besserer ISO-Leistung und Bildstabilisierung auszustatten, auch Objektive gibt es mehr und mehr. In der fernen Zukunft könnte dann die DSLM irgendwann die Führung übernehmen. Im Alltagsgeschäft eines kommerziellen Fotografen hat ein großer, schwarzer Kasten jedoch noch viele Vorteile, u.a. auch das Handling mit vielen dedizierten Knöpfen, das einem schon seit Jahren zur zweiten Natur geworden ist.