Maximale Bildwirkung im Porträtshoot
Als ich 2009 damit anfing, regelmäßig Menschen in meinem Fotostudio abzulichten, wurde mir schnell klar, dass Textilknappheit zwar grundsätzlich grenzwertig ist, aber für den Gesamtbildeindruck wichtig sein kann. Ganz im Sinne der Verdichtung versucht der Fotograf den Blick auf das Wesentliche, die Persönlichkeit, zu konzentrieren. Rotkarierte Hemden oder goldglänzende Abendkleider dagegen drängen sich optisch stark auf und konkurrieren mit dem eigentlichen Bildinhalt, sie lenken von der Person letztlich ab.
Textilien, vereinzelt oder gruppiert
Es ist also eine gute Idee, wenn man vor dem Shoot ausmacht, welche Outfits getragen werden sollen. Bei hellen Bildern sind einfarbige beige, hellgraue oder weiße Kleidungsstücke, vor schwarzem Hintergrund eher dunkle und gedeckte angesagt, um störende Kontraste zu reduzieren/vermeiden. Gerade bei Gruppenbildern ist farbliche Abstimmung ein Muss, es sei denn es soll wirklich kunterbunt sein. Es kommt vor, dass Gruppen das wünschen, manchmal entsättigt man das Bild dann stark oder macht es gleich schwarz-weiß.
Fashion vs. Porträt
Selbstverständlich bewegen wir uns hier nicht auf dem Gebiet der Modefotografie, da fungiert das Model mehr als lebendiger Kleiderständer, sondern es geht um Bilder, die Gesicht und Oberkörper inkl. Hände zeigen, also klassisches Porträt. Wer bei Textilknappheit gleich an Aktfotografie denkt, schießt über das Ziel hinaus, denn hier ist es gerade die Nacktheit, die die Bildrezeption in eine unerwünschte erotische Richtung lenkt. Ebenfalls sei wieder ergänzt, dass auch das beabsichtigt sein kann.
Persönlichkeit pur
Auch wenn der alte Gemeinplatz „sex sells“ im Zeitalter von youporn nicht mehr ganz so greift, so sind doch die meist geklickten und ge“like“ten Bilder auf Fotoportalen in der Kategorie „Kopfkino“ anzusiedeln. Die dargestellten Personen sind meist austauschbar, Posing und Blick stereotyp. Der (tendenziell männlichen) Zielgruppe gefällt sowas natürlich immer wieder aufs Neue. Individualität jedoch muss eine angemessene Ausdrucksform finden, der Mensch in seiner Einzigartigkeit in dem jeweiligen Lebensabschnitt soll herausgearbeitet werden, das setzen wir uns zum hehren Ziel.
Location vs. Studio
Wenn man die Person nicht in ihrer gewohnten Umgebung ablichten kann, z.B. eine Hobbygärtnerin im Blumenbeet oder einen Musiker im Konzertgraben, dann findet man sich meist zusammen in einem Fotostudio, also in einer ganz besonders reduzierten Umgebung, wieder. Gleichförmiger Hintergrund, geformtes Blitzlicht schaffen eine fast abstrahierte Atmosphäre, hier sitzt man wirklich wie auf dem Präsentierteller (oder auf dem Zahnarztstuhl, wie böse Zungen gerne behaupten).
Die künstliche Situation dieses Raumes letztlich ist es, die mich dazu bringt, das Motiv anzupassen, ihm fremde Strukturen zu nehmen und lebendiger scheinen zu lassen. Z.B. könnte eine Frau ein ärmelloses Top anziehen, und damit Arme und Dekolleté zeigen. Das natürlich nur, wenn diese Art von Ausdruck zur Persönlichkeit des Fotografierten am besten passt. Nicht jedes Bild gefällt besser, wenn man mehr sieht, sich z.B. ein Mann das Hemd weiträumig aufknöpft, es gewinnt aber auf jeden Fall an Ausdrucksstärke. Mancher fühlt sich in seiner Haut unsicher, andere bewegen sich völlig natürlich am FKK-Strand, das muss berücksichtigt werden. Vielleicht möchte sich auch jemand bewusst verhüllen oder verkleiden.
Gratwanderung
Da Fotografie schon an sich ein eher oberflächliches und triviales Medium ist, ist die Frage, wieviel Fläche seines Körpers man zeigen möchte, ein Grenzgang. Kleider machen Leute, aber Haut schafft Persönlichkeit: Falten, Leberflecke, der Grad der Bräunung oder deren Abwesenheit, Zartheit, Wettergegerbtheit, all das vermittelt noch mehr Information über den Menschen aus Fleisch und Blut, der in die Zweidimensionalität einer Leinwand oder eines Fotoabzuges im Rahmen gebannt wird.
Nach vielen durchgeführten Shoots mit verschiedenen Menschen ist mir auch klar, dass das Thema kein einfaches ist und man als Fotograf oft andere Vorstellungen über die mögliche Ausdruckskraft eines Porträtbildes mitbringt. Deshalb ist ein Vorgespräch unerlässlich.