Mein Gehirn hasst mich

Ernst ist das Leben, heiter die Kunst!

Mr. Miyagi lehrte seinen Schüler, bekannt unter dem Namen „Karate Kid“ im gleichnamigen Film in den 80er Jahren folgenden bedeutungsschwangeren Satz: „Egal wie hart du auch trainierst, es wird immer jemanden geben, der es besser kann als du.“ Ich möchte dem beipflichten mit einem wissenden: Hai!

Was für Kampfsportarten gilt, lässt sich auch auf andere Bereiche des Lebens übertragen: Es gibt immer jemanden, der schlanker, schlauer oder schöner ist als ich. In meinem Fall wahrscheinlich sogar 90% aller Menschen, denen ich begegne. Allerdings empfinde ich das nicht als Herausforderung, es gibt andere Betätigungsfelder, in denen ich mich einem Wettbewerb stellen muss, da die Konkurrenz nicht schläft.

Eine Hamburger Fotografin hat in einem Blog-Beitrag über die Vergleicheritis von Bilderpostern bei den sozialen Medien geschrieben, den ich hier verlinken möchte:

Anne Hufnagl nails it

 Ihr Fazit hat mich besonders angesprochen:

 „Man gerät in einen Kreislauf aus eigenem Anspruch, tollen Dingen, die man bei anderen sieht und selbst gerne erreichen würde, und dem immer währenden Zwang, irgendetwas besser zu machen. Denn das Internet ist voller Leute, die alles, was man selbst tut, irgendwie besser können … Ohne den Druck, eine bestimmte Anzahl von Likes zu generieren oder meinem Stil treu zu bleiben …, kam die Freude an der Fotografie zurück. Wenn ich nun doch mal wieder ein Bild hochlade, bekommt es viel mehr Likes, als vergleichbare Bilder früher. Ein spannender Effekt, verursacht durch den selbstverordneten Ausbruch aus der Like-Falle. Nachahmen durchaus empfohlen.“

Hier wird eindeutig das Pferd von hinten aufgezäumt. Es steht nicht das Bildermachen im Vordergrund, sondern wird zuerst auf die Rezeption geschielt. Man sucht sich kein Herzensthema, sondern überlegt, welche Motive andere beeindrucken könnten. Aber es geht immer noch schlimmer.

Vor Facebook gab es schon lange Fotovereine

Es gab tolle Fotogruppen, denen ich mich gerne angeschlossen hätte, aber ich konnte nichts mit dem Wettbewerbsgedanken anfangen, der dort vorherrscht, evtl. gar den Endzweck der Gruppierungen darstellt. Wenn die Workshopleitung oder der Vereinsvorstand als Thema z.B. „Marienkäfer“ vorgibt, sollen alle Mitglieder ausschwärmen und wie die fleißigen Bienlein Blümchen und Bäumchen umkreisen und die Krabbeltierchen auf Silikonchips bannen. Der geschätzte Blogleser merkt es sicher bereits an meiner Wortwahl, dass ich das extrem absurd finde. Warum soll ich losmarschieren, eine Art fotografische Hausaufgabe zu machen?

Muse, küss mich endlich!

Kann ich die Muse durch solche Exkursionen vielleicht bedrängen, dass sie sich endlich auf mich konzentriert? Zu präsent sind bei mir die Traumata der Schul-, Studien-, und Lehrzeit. Wenn ich an die Lebenszeit denke, die ich für halbherzige Aufsätze, talentfreie Wasserfarbengemälde und andere Mittelmäßigkeiten, die ich für den deutschen Bildungsweg produzieren musste, aufgewendet habe. Zugegeben, Marienkäferbilder sind schon schön, aber auch hier muss man nicht noch selber das 12 Millionste Foto produzieren, frei nach Karl Valentin: Es wurde schon alles fotografiert, nur noch nicht von jedem. Und da liegt eben auch die Vergleichbarkeit der Motive, die auf Facebook & Co. so schmerzhaft unangenehm auffällt. 11 Millionen von den Insektenaufnahmen sind besser als meine.

Serendipity, es flowt

In meiner Freizeit möchte ich deshalb meine Fotografie – ähnlich wie Anne Hufnagl – eben nicht Zwängen unterwerfen, sondern sie genießen, ihr freien Lauf lassen. „Flow“ nennt man das in der Psychologie, wenn man sich im Augenblick verliert und findet und zu den Glücklichen gehört, die ihre Kamera dabei haben und einen Zeitpunkt der Serendipität festhalten können. Dann könnte etwas einzigartiges, individuelles entstehen, das ich gleich auf Facebook posten kann. Vielleicht ist auch ein Marienkäfer/Bienchen/Blümchen/Schmetterling involviert, kann jeder selber einfügen. Der homo fotograficus ist kompliziert.

Joe McNally und ich sind uns einig *ggg*

Einer der derzeit meist aufgerufenen Begriffe im Gutmenschen-Buzzword-Bingo ist „Achtsamkeit“. Es umwehen ihn Schwaden von Räucherstäbchen und Klänge von Meditationskugeln kommen einem dazu in den Sinn. Aber was bedeutet dieses hehre Wort, das im Alltagswortschatz gar nicht vorkommt, dafür in fast allen Selbsthilferatgebern oder Selbstfindungsworkshops zum Thema „Entschleunigung“ & Co. Verwendung findet?

Vor ein paar Jahren klärte mich eine Gastronomin darüber auf, dass sie bei einem Koch darauf achte, wie er mit einem Stück Fleisch umgehe. Es sei wertvoll, ein Tier habe sein Leben dafür gegeben. Es müsse vorsichtig behandelt und perfekt zubereitet werden. Das hat mich beeindruckt und noch Jahre danach denke ich darüber nach. Ich will aber hier keine Gedanken zum Thema Fleischkonsum vs. Vegetarismus o.ä. anführen, meine Gedanken gehen in eine andere Richtung. Schließlich trifft man mich ja meistens mit einer Kamera vor dem Auge im Anschlag an, meistens mit Personen im Fadenkreuz.

Gibt es ein Postulat für Achtsamkeit bei der Fotografie?

Schon seit Jahren überlege ich mir, was der sprichwörtliche Außerirdische denken würde, wenn er mit seiner Untertasse wie im Comic neben mir landen und Zeuge eines Porträt-Shoots werden würde. Würde er verstehen, was hier vor sich geht? Zwei Personen sind sich gegenüber, schauen sich an, einer hat einen schwarzen Kasten vor den Augen. So selbstverständlich dieser Vorgang für uns ist, die wir mit Knipskisten aufgewachsen sind und heute ohne Smartphone mit Kamerafunktion keine halbe Stunde überleben würden, so seltsam könnte es dem grünen Marsmännchen vorkommen. Im Englischen heißt es ja „take someone´s picture“, als würde man jemandem etwas wegnehmen. Zumindest trägt man Bilder der Person auf der Speicherkarte davon. Wir gehen mal davon aus, dass die Person freiwillig posierte, sich auf den Bildern hübsch findet und damit zufrieden ist, wenn sie bearbeitet bei ihr ankommen. Wir lassen mal die Situationen außen vor, in denen ein 1.000 mm Tele zum Einsatz kam und eine Person unbemerkt in einer privaten Umgebung fotografiert wurde.

Lernen von einem Großen – ach was sage ich – vom Giganten

Joe McNally, wahrscheinlich der größte lebende US-Fotojournalist seit 30 Jahren spricht in einem Interview u.a. über die Verantwortung des Fotografen gegenüber dem Fotografierten. Das ganze Video ist eine Schatzgrube, es wurde von dpreview.com geführt und hier veröffentlicht:

Interview bei dpreview.com

Ab Minute 14 spricht Joe über die emotionale Verbindung bei einem Porträt-Shoot:

„The emotional connection between you and the subject means everything in a portrait situation. And I think there are photographers who forget that a little bit, especially some of the photographers who might be at the beginning of their curve and they´re so worried about their stuff, the f-stop and shutter speed aspect of it that they´ll forget that there´s a human being out there in this very vulnerable place in front of a camera. It´s a vulnerable, emotionally difficult place to be when you get in front of a camera. Not to say that some folks like Hollywood folks they have it not, they´re fine about it. When you´re relating to people, generally speaking, you got to treat them really, really well. You know emotionally that it is a very difficult thing for them to do so you have to be at risk with yourself emotionally. You have to care so much about doing a good job for them – with them – you´re both kind of out there on the wire.“

Meine bescheidene Übersetzung:

„Die emotionale Verbindung zwischen Dir und dem Fotografierten hat die größte Bedeutung in einem Porträt-Shoot. Und ich glaube, dass es Fotografen gibt, die das ein wenig aus dem Auge verlieren, besonders die Anfänger, weil sie sich mehr über Blende und Verschlusszeit Gedanken machen, so dass sie vergessen, dass sich hier ein verletzlicher Mensch vor Deine Kamera begibt. Es ist ein Ort der Verwundbarkeit, gefühlstechnisch nicht einfach, sich dorthin zu begeben, eben vor eine Kamera. Das heißt nicht, dass manche Hollywood-Leute kein Problem damit haben, sie kommen damit gut zurecht. Wenn Du mit Menschen umgehst, allgemein gesprochen, musst Du sie wirklich, wirklich gut behandeln. Du weißt, es ist gefühlt sehr schwierig für sie, deshalb musst Du auf der Gefühlsebene sehr aufpassen. Du musst Dich um sie sorgen, dass Du den bestmöglichen Job für sie – mit ihnen – machst. Ihr lehnt euch beide dabei weit aus dem Fenster.“

Was Joe hier so unaufgeregt zum besten gibt, umschreibt in ein paar Sätzen das, was ich in den letzten Jahren auch so erkannt habe. Fotografiert werden ist seltsam, eigentlich unnatürlich. Man posiert, alles ist gestellt, man bekommt Feedback oder Korrekturen zugerufen. Fast wie eine Prüfungssituation, in der man sich unsicher fühlt. Fragt mal euren Fotografen, ob er/sie selber gerne vor der Kamera steht … Egal, wer da vor der Kamera erscheint, ob es ein Profimodel ist, ein Amateur mit Erfahrung und Shootingideen oder ein Kunde, der eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt dem Termin im Fotostudio vorziehen würde, der Fotografierende ist gefordert, gleich achtsam mit allen umzugehen. Der Grad des Unwohlseins, das der Mensch vor der Kamera empfindet, ist gar nicht der Maßstab dafür, wie sehr sich der Fotograf anstrengen muss. Er muss alle Menschen respektieren und bereit sein, den besten Job abzuliefern.

Sagt nicht ein altes chinesisches Sprichwort aus, dass man lächeln können muss, um ein Geschäft eröffnen zu können? Das möchte ich so auch für jedes Fotostudio fordern. Und noch mehr, man muss ein ausgesprochener Menschenfreund sein, wenn man auf der Suche nach dem schönsten Blick, der vorteilhaftesten Ansicht des Gegenübers ist. Egal, wer da vor mir sitzt/steht, auf dem Bild, das ich von ihm „nehme“, soll er sich schön finden. Und das geht am besten, wenn er sich beim Entstehen der Bilder wohl und wertgeschätzt fühlte.