Die Frage, die sich wohl jeder Fotobegeisterte einmal stellen muss:
Warum fotografiere ich eigentlich?
Warum stehe ich frĂŒh um 4 vor Sonnenuntergang auf und krabble mit Stativ auf einen Berg im Fichtelgebirge, um vom Asenturm aus Bilder von den in orange getauchten Nadelbaumwipfeln zu machen? Sagte ich ich? War symbolisch gemeint, ich wĂŒrde auch im Antilope Canyon erst um die Mittagszeit eintrudeln, denn Landschaft ist nicht mein Thema.
Urbanes Leben dagegen schon. Im Mai 2015 sprintete ich um 5 auf die Brooklyn Bridge in New York, um die Skyline bei Sonnenaufgang zu fotografieren. Ein Motiv, das jeder kennt und möglicherweise auch schon selber in Bits und Bytes verewigt hat. Warum quĂ€lt man sich dafĂŒr aus dem Bett? Bei allen Microstockanbietern bekommt man fĂŒr ânen Appel und ein Ei wesentlich schönere Fotos vom Big Apple zu allen Tages- und Jahreszeiten.
Olaf Giermann schreibt auf dem Docma-Blog
Fangen wir von SehenswĂŒrdigkeiten gar nicht erst an ⊠Die wurden schon von Millionen Menschen vor Ihnen fotografiert! Von allen Seiten. Egal wie gut Sie sind, es gibt mit hoher Wahrscheinlichkeit aktuell, frĂŒher oder spĂ€ter immer jemanden, der das irgendwie besser oder irgendwie anders kann.
Warum sollten Sie also ĂŒberhaupt noch fotografieren? Es gibt doch schon tausende Fotos davon!
Wenn Sie so denken, sind Sie in die gröĂte Stolperfalle der Fotografie und des Bild-Erschaffens gelaufen: Sie denken ĂŒber den Sinn des Ganzen nach!
Wenn Ihre Fotografie keinen rein kommerziellen Hintergrund hat â Sie also keinen monetĂ€ren ZwĂ€ngen unterliegen und sich nicht dem Geschmack des GroĂteils Ihrer Konsumenten beugen mĂŒssen â, sollten Sie sich um all diese Ăberlegungen ĂŒberhaupt nicht scheren. Halten Sie sich also nie davon ab, etwas zu fotografieren, was bereits jeder vor Ihnen fotografiert hat. Denn SIE SELBST haben es noch nicht fotografiert und SIE SELBST haben das allseits bekannte Motiv noch nicht nach Ihren eigenen Vorstellungen bearbeitet!
Mit eigenen Worten wĂŒrde ich das dann so umschreiben wollen: Der Fotograf ist hier ein Sammler. Er will das Motiv auch haben und selber bearbeiten als eine Art TrophĂ€e. Das leuchtet mir ein. Weniger plakativ könnte man auch sagen, die eigenen Urlaubserinnerungen wollen festgehalten werden, da bietet sich Fotografie doch geradezu an.
Was aber, wenn ein Sinnsucher durch den Sucher schaut?
Der fotografiert natĂŒrlich genauso gerne mal zum Selbstzweck, aber dann braucht er ein menschliches Thema, das fesselt und berĂŒhrt und ein lĂ€ngerfristiges Projektvorhaben entsteht:
Reportage 1
Reportage 2
Das spannendste Motiv …
… ist immer noch der Mensch. Es gibt Personen, die wurden zigtausendmal abgelichtet, obwohl sie im konventionellen Sinn gar nicht schön sind, da fĂ€llt mir spontan Barbra Streisand ein. âDiese Nase, mein Lieber âŠâÂ
In der hollywoodfernen Familie sind natĂŒrlich die eigenen Kinder oder Eltern das meist fotografierte Motiv. Das Aufwachsen und das Altwerden sind natĂŒrliche Phasen unseres Lebens und so können wir die Erlebnisse zumindest einfrieren, auch wenn wir die Menschen einmal gehen lassen mĂŒssen (manchmal leider viel zu frĂŒh).
Vielleicht ist die Angst vor Verlust und Vergessen eine der stĂ€rksten Triebfedern fĂŒr den Erinnerungsarchivar hinter der Kamera.
Inszenierung auf dem Kindergeburtstag
Wenige dieser Familienbilder sind ungestellt und authentisch. Schon wenn man jemand zum LĂ€cheln auffordert, verfĂ€lscht man z.B. den Ausdruck des Filius in der fotografisch höchst interessanten Trotzphase. Kaum etwas ist gestellter als ein Gruppenbild ⊠âUnd jetzt alle Daumen hoch!â
Warum fotografiere ich?
Ich fotografiere, weil mich Menschen interessieren, im Idealfall kann ich die Persönlichkeit zeigen. Vielleicht kann der Betrachter das Bild gar nicht richtig deuten, weil man nur bis zu einem gewissen Grad so etwas Komplexes wie Persönlichkeit in einem Frame darstellen kann. Ich kenne nur wenige Menschen, die vor der Kamera so ganz sie selber zu sein scheinen, dass man glaubt, sie nur vom Anschauen persönlich zu kennen.
Vielleicht ist auch das nur ein Trugschluss, aber wer sagt, dass Fotografie ohne Risiken und Nebenwirkungen auskommt ⊠in diesem Spannungsfeld von Inszenierung und AuthentizitÀt operieren wir bei jedem Shoot wie am offenen Herzen.
Wer glaubt, dass er nur einen Termin mit einer fremden Person auszumachen braucht und sofort zu kongenialen Ergebnissen kommt, ist ein groĂer Optimist. Mein Vorbild Annie Leibovitz sagt, dass sie mindestens einen halben Tag braucht, um einen Menschen kennen zu lernen, und auch im Vorfeld ihre Hausaufgaben machen muss, um möglichst viel Information ĂŒber den zu PortrĂ€tierenden zu sammeln.
Erst Konzept, dann knipsen
Die gezeigten Beitragsbilder sind in Zusammenarbeit mit Tessa-Jean Cook entstanden.
Auf Facebook
Wir hatten uns getroffen, um das Thema âVerzweiflungâ oder vielleicht auch âVerletzlichkeitâ auszudrĂŒcken, Themen, die wir in unserer Biografie zeitweise gerne ausgeklammert hĂ€tten.
Hier schreibt Tessa ĂŒber ihre Gedanken zur Kunst:
Tessa speaks her mind
âEin Foto ist nur ein Bild, wenn ein Mensch drauf zu sehen istâ
Da immer ein Fazit angemahnt wird, möchte ich mit diesem Zitat von mir selber schlieĂen.
Wo meine Reise hinter dem Sucher hingeht, weiĂ ich nicht. Tatsache ist, dass mich dabei immer Menschen vor dem Sucher begleiten. Nur in der People Fotografie findet eine Interaktion bildentscheidend statt. Deshalb darf das Fichtelgebirge gerne ohne mich weiterhin im Sonnenaufgang erstrahlen.