Die Amateurisierung der Medienwelt
Mitte der 90er Jahre kam ein Kunde mit einer Festplatte in die Druckvorstufe, in der ich neben dem Trommelscanner für Dias Filme belichtete und Cromalin-Proofs produzierte. Die Daten, die er mir übergab, hatte er selber in Pagemaker (dem Papa von Indesign) erstellt auf einem leistungsfähigen PC und nun wünschte er diese gedruckt zu bekommen. Ich glaube, es war eine Betriebszeitschrift einer Firma oder eine Imagebroschüre. Weiß nicht mehr so genau. Dass ich mich überhaupt noch nach 20 Jahren daran erinnere, liegt daran, dass das ein außergewöhnliches Ereignis war.
Tatsache ist, dass seitdem diese Spezies von Kunden immer häufiger auftrat bis in der Mitte der 2000er Jahre eigentlich fast keiner mehr etwas von einem Mediengestalter layouten ließ, weshalb ich aus der Druckvorstufenlandschaft zügig flüchtete und in Inhouse-Agenturen mein Heil suchte. Das Sterben der örtlichen Druckereien setzte dann auch bald ein und dauert bis heute an.
Der Aufstieg der Laien
Vor 20 Jahren noch brüsteten sich Fachleute ihres Know-hows und wiesen gerne Dilettanten zurecht, deren Werke dieses unverkennbare „Selbstgestrickte“ ausstrahlten, sie sahen aus wie „will-und-kann-nicht“ und wurden entsprechend belächelt. Mittlerweile lacht keiner mehr. Die Medienexperten sind größtenteils arbeitslos oder dem Prekariat verfallen. Das Niveau der selbst erstellten Broschüren ist dank günstiger Indesign-Vorlagen über Envato auch über jeden Zweifel erhaben. Die Adobe-Creative-Cloud macht es möglich, dass Firmen für ein paar Euro im Monat Zugriff auf ehemals teure Publishing-Software haben.
Ich möchte kurz noch weiter zurückgehen in die Zeit, als es für jeden Handgriff einen Spezialisten gab, der Setzer kümmerte sich um Textformatierung, der Bildbearbeiter lieferte die Pixeldaten, ein weiterer baute das alles an einer Workstation zusammen. So ein Gerät war unerschwinglich und Arbeitsstunden entsprechend teuer. Dann kam der Begriff „Desktop Publishing“ auf, der besagte, dass eine einzelne Person an einem Computer etwas publizieren konnte, was früher nur ein ganzes Team konnte, zunächst im Druck, später auch im Internet. Die technischen Voraussetzungen dafür waren nicht nur geschaffen, sondern sie waren auch in jedem Haushalt verfügbar.
Do it yourself digitally
Auch dieser Beitrag ist Veröffentlichung Marke Eigenbau. Als ausgebildete Buchverlegerin habe ich natürlich den offiziellen Ritterschlag erhalten, sowohl Bilder, als auch Text und Layout zu produzieren und dies zu bewerben, somit bin streng genommen noch eine Expertin, aber die Idee ist auch hier, dass jeder etwas veröffentlichen kann, wenn ihm danach ist. Vor nicht allzu langer Zeit war es gar nicht so einfach, eine Webseite zu erstellen, mit WordPress ist das ein Kinderspiel.
Content im Internet
Der Gangsta rapt auf der Soundcloud, eine unbekannte Band trifft vielleicht den Nerv vieler Zuhörer und erzielt eine Million Downloads ihres Songs. Die direkteste Form von Vertrieb oder Marketing geschieht täglich auf Instagram oder Facebook. Früher brauchte man einen Plattenvertrag für sowas, da wurden Interpreten gnadenloser ausgesiebt als es Dieter Bohlen heute bei DSDS tut: „Du hast fast jeden Ton getroffen“. Heute bastelt man den viralen Hit im Home Studio einfach selber. So geschehen im November 2015, als ein Oberbayer „Nur ein Lied“ schrieb und in seinem Wohnzimmer vertonte.
Opa lädt derweil seine Bilder zu CEWE hoch und kriegt das Fotobuch günstig wie nie zuvor in der Geschichte geliefert, die Druckpreise sind seit Jahren rückläufig. Er hat darüber hinaus Zugriff auf hilfreiche kostenlose Ebooks zu vielen Themen. Genialer Content ist überall, auch in Videoform auf YouTube, Tutorials, die einem z.B. zeigen, wie man einen Blog einrichtet, Fotobücher macht oder die Soundcloud bestückt.
Digitalfototechnik ist erwachsener denn je
Auch meine Lieblingsthema, die Fotografie, hat sich in den letzten 10 Jahren seit Aufkommen leistungsfähiger Digitalkameras vollständig amateurisiert, der Markt für Studiofotografie gleich welcher Qualität ist erodiert. Die Frage ist, ob das so schlimm ist. Meine Erinnerungen an Fotosessions in meinen Teenagerjahren sind durchwachsen. Meistens ging es sowieso nur um Passbilder oder unvermeidliche Klassenfotos. Zahnarzt war öfter und angenehmer. Gleichzeitig ist man heutzutage durch digitale Knipserei befreit von den Beschränkungen, die die 36-Bilder-Filmrollen uns damals auferlegt haben. Wir können 360 Bilder und mehr schießen und gleich sehen, ob die Belichtung etc. passt und notfalls ohne Mehrkosten wieder verwerfen.
Quo Vadis, also, Medienwelt?
Ich erwarte, dass die professionellen Anbieter weiter schrumpfen, z.B. auch lokale Zeitungsredaktionen, Ladengeschäfte mit Fotoartikeln etc., da wird nicht mehr viel zu holen sein. Die Internetdruckereien und Fotodruckdienstleister werden weiter boomen. Auch wenn die Zeitungsabos zurückgehen, scheint das gedruckte Buch nach wie vor das beliebteste haptische Medium zu sein. Irgendwo müssen die digitalen Bilddateien auch verewigt werden. Festplatten können kaputt gehen oder unlesbar werden oder deren Anschlüsse nicht mehr kompatibel sein. Wird es in 10 oder 20 Jahren noch USB-Anschlüsse oder Jpg-Dateien geben?
Bilderinflation
In der allgemeinen Bilderflut wird es immer den ein oder anderen Künstler geben, der heraussticht und überzeugen kann, aber das ist ein verschwindend geringer Anteil. Seit mindestens 10 Jahren wird jeder Opi mit dem Draganeffekt auf bulgarischer Käse-Hundertjähriger getrimmt und Porträts von den lieben Kleinen mit Blumenkranz und im Gegenlicht bei Blende 1,4 aufgenommen, ätherischst. Das macht nicht mehr der Fotoprofi, sondern Onkel Fritz (oder der Neffe Florian) kann das selber. Um so besser!
Der Beruf des Fotografen wie wir in kennen, hat sich schon stark verändert, nachdem 2004 der Meisterzwang aufgehoben wurde. Vielleicht verschwindet er noch fast ganz. Die Generation der ü70-Jährigen dürften die letzten sein, die einen Großteil ihres Lebens ohne Computer, Smartphone und Digitalkamera auskamen, der Rest der Bevölkerung dürfte damit praktisch aufgewachsen sein und diese Hilfsmittel beherrschen. Der Rest ist Talent …
Das Internet als ästhetischer Einfluss
… und auch Geschmack, diese sind heutzutage stärker verbreitet als früher, als es keinen Zugriff auf so viele kostenlose Inhalte gab. Lifestyle-, Modemagazine, Kunstbände oder Fotobücher namhafter Künstler etc. konnte man nicht stundenlang in Bahnhofs- oder normalen Buchhandlungen goutieren, so wie man es heute im Internet tun kann. Man musste die Druckprodukte kaufen. Heute haben wir Pinterest, eine Fundgrube zu allen möglichen Stichworten, wo man Bildergalerien durchstöbern und sich nach Herzenslust inspirieren lassen kann. Ein Klick und das Lebenswerk eines bedeutenden Künstlers baut sich vor mir auf. Wenn man etwas weiterdenkt, bildet sogar der IKEA-Katalog unser Schönheitsempfinden … irgendwie.
Falls jemand einen soziologische Zusammenfassung zu den obigen Gedanken möchte, hier ein Link zu einer Tagungsankündigung von 2014 „Die neuen Amateure – zur Konjunktur einer Sozialfigur“ :
Amateurismus als soziologisches Phänomen
Postscriptum
Jemand wünschte sich ein Fazit oder einen persönlichen Ausblick. Vielleicht fällt mir was ein und ich schreibe noch dediziert dazu.