Schei* Corona

Theaterdämmerung

Acht Jahre ist es schon her, dass ich die Plakate und Programmhefte für den Kulturstadl in Bayreuth gestalte. Seit 1982 werden jedes Jahr vier bis fünf Stücke vorbereitet und auf die Bühne gebracht. Das alles von ehrenamtlichen SchauspielerInnen, RegisseurInnen, BühnenbildnerInnen, TechnikerInnen und vielen helfenden Geistern, die Kostüme nähen, schminken, Tickets oder Getränke verkaufen. http://www.kulturstadl.de

Im März 2020 endete abrupt die Vorbereitung auf das Stück „Wie Bonnie und Clyde“. Plakate und Programmzettel waren schon fertig gedruckt und doch musste das Amateurtheater im Zuge der Versammlungsverbote meines Wissens erstmalig schließen. Seitdem gab es nur eine Aufführung unter freiem Himmel – „das Heckentheater“ – die Bühne bleibt seit Monaten unbespielt. Jetzt im Herbst wäre wieder Märchenzeit gewesen, mitunter die aufwändigste Produktion im Jahr, die mit Mehrfachbesetzungen von aufgeregten Kindern aufwartet, weil die SchauspielerInnen im Grundschulalter natürlich nicht so viele Spieltermine wahrnehmen können, wie sie um Weihnachten üblicherweise stattfinden. Diese Vorführungen waren eine feste Größe am Jahresende und immer gut besucht. Vor genau einem Jahr hatten Ruby Tanner und Sonja Vogtmann die Regie bei „Rapunzel“ übernommen und so kontaktierte ich die beiden Freundinnen, um sie über ihre Erlebnisse während der spiel- und regiefreien Zeit zu befragen.

Beide antworteten unisono, dass sie die sozialen Kontakte vermissen, die das Theatermachen mit sich bringt. Wer das noch nicht selber miterlebt hat, kann sich gar nicht vorstellen, wieviele Stunden man miteinander verbringt bis ein Stück bühnenreif ist. Da überrascht es nicht, dass dort Freundschaften fürs Leben beginnen (und leider manchmal auch beendet werden). Ruby und Sonja standen schon häufiger zusammen auf der Bühne, obwohl beide betonen, dass das eigentlich der geringste Anteil an der Schauspielerei ist. Viel mehr fallen die praktischen Herausforderungen ins Gewicht, die Fragen und Probleme, die bei der Realisierung von Stücken aufkommen und die gemeinsam gelöst werden müssen. Von Musikauswahl, Kostümproblemen über Besetzung bis zu schrillenden Telefonklingeln und anderem Bühnen-Effekten reichen die Herausforderungen und gehen noch darüber hinaus. Ruby und Sonja meinen, das sei der eigentliche Kern ihrer Tätigkeiten – Lösungen zu finden – vor allem, wenn sie zusammen Regie führen.

Es überrascht mich, dass das eigentliche Schauspielen auf der Bühne so in den Hintergrund tritt, aber die beiden versichern mir, dass für sie das Team und die gemeinsame Arbeit das entscheidende sei. Da sei kein Platz für Eifersüchteleien oder falschen Ehrgeiz, zumindest sie beide hätten diese hinter sich gelassen und so sind sie feste Größen im Stadl geworden und übernehmen die Verantwortung für ganze Stücke. Ein ungeheurer Druck lastet auf Regisseuren, man operiert mit Chaos und Zeitknappheit, überall menschelt und kriselt es, die Premiere kommt immer zu früh, Nerven liegen blank … Der Gast auf samtweichem Theaterstuhl erfährt davon nichts. Für 10 Euro Eintritt ist es ein günstiges Vergnügen, aber auf der anderen Seite des Vorhangs war es ein hartes Stück Arbeit.

Ich frage natürlich, was sie sonst noch in der Theaterpause erlebt hätten. Ruby meint, dass sie gerade in der Anfangszeit von Corona eine Kur angetreten hatte und mit der ungewöhnlichen Situation fernab des Alltags beschäftigt war. Sonja, dagegen, empfand es als angenehm, aus dem Stress der sonst aufeinanderfolgenden Projekte (sie sie ja neben ihrem Vollzeitjob stemmt) herausgenommen zu sein, schließlich wirkte auch ihr Mann in vielen Stücken mit und ein Großteil ihrer Freizeit verbrachten beide auf Probebühnen und bei Leseproben. In der zwangsweise spielfreien Phase nützte Sonja die Zeit, das Rauchen aufzuhören und mit Sport anzufangen. Corona hatte also durchaus etwas Positives bei ihr bewirkt. Ruby pflichtet ihr bei, dass auch sie der Epidemie zu verdanken hatte, dass ihre Kur wesentlich verlängert wurde.

War die Pause vom Stress anfänglich willkommen, so wurde es beiden bald zu ruhig. Ruby sinniert, die plötzliche Pause habe sie erst nach der Reha zurück im Alltag realisiert, es sei wie ein Schock gewesen, während Sonja die Zäsur im Frühjahr gar nicht als so schlimm empfunden hätte. Ihr würde das Theater im Winter, in der dunklen Zeit, mehr fehlen.

So habe Sonja auch den Urlaub in heimischen Gefilden als erholsam und schön erlebt, ins Ausland zog es sie angesichts der Gefahren überhaupt nicht. Gefehlt habe ihr aber neben den Stadlern vor allem Konzerte und Musikfestivals. Ruby vermisste die vielen Veranstaltungen, auf denen sich mit ihrer Stadl-Jugend aktiv gewesen wäre, gerade das Kinderschminken bereicherte diverse Bayreuther Festivitäten, die sämtlich dieses Jahr ausgefallen waren.

Ruby stöhnt über die bürokratischen Hürden und mühsamen Prozesse hin zu Hygienekonzepten, die z.B. das erwähnte „Heckentheater“ mit sich brachte. Ständig müsse man sich fragen: Was ist erlaubt? Wie kann man es verhindern, dass Mitwirkende oder Gäste einem Risiko ausgesetzt werden? Ruby findet das anstrengend, aber absolut notwendig.

Sonja ist aber guter Hoffnung, dass sich die Infektionslage im kommenden Frühjahr entspannt haben wird und dann langsam wieder ein eingeschränkter Theaterbetrieb aufgenommen werden kann. Aber das steht momentan noch in den Sternen. Wie sich ein Spielplan in 2021 gestalten ließe, ist derzeit völlig offen.

Ich möchte natürlich noch wissen, ob sich für Ruby und Sonja nach Corona etwas verändern wird. Ruby meint, dass die spielfreie Zeit sicher zu neuer Dynamik im Kulturstadl führen wird. Jeder habe viel Zeit gehabt, über seine Rolle im Team nachzudenken und daher erwartet Ruby neue Impulse.

Sonja glaubt, dass sie ihre Mitarbeit im kommenden Jahr neu gewichten wird. Dabei freut sie sich über neue Projekte, an die aber besondere Anforderungen gestellt werden. So darf nicht nur im Zuschauerraum, sondern auch auf der Bühne eine gewisse Anzahl Personen nicht überschritten werden. Ein Stück mit so vielen Schauspielern wie „der nackte Wahnsinn“, das mitten in der Spielzeit vorzeitig beendet werden musste, wäre undenkbar. Das seien große Herausforderungen, meint Sonja, die optimistisch ist, dass man sich nicht allzu lange mit den Einschränkungen herumschlagen  müsse. 

Vielleicht behält Sonja ja Recht und es geht im Frühjahr 2021 wieder weiter, nach über einem Jahr Zwangspause gäbe es dann wieder eine „Theaterdämmerung“.

Ich bedanke mich für das nette Gespräch, das positiv stimmt und – wie man an den Bildern sehen kann – von guter Laune und herzlichem Lachen begleitet war.

Ein vereinsamtes Kleid im Fundus des Brandenburger Kulturstadls.

Künstler sind systemrelevant

Still ist es geworden ohne Konzerte, Straßenmusiker, Amateurtheater, Vernissagen. Im letzten halben Jahr seit Ausbruch von SARS-CoV-2 haben vor allem Kleinkünstler und Soloselbstständige unter Berufsausübungsverboten gelitten. Verständlich sind die Gründe, wer möchte nicht Ansteckung verhindern, aber mit Fortdauer der Einschränkungen fragt man sich, wie sich Kultur in das neue Normal retten lässt. Oder muss man Vieles neu denken? 

Unter dem Hashtag #kunstistsystemrelevant kann man auf den Social Media viel zum Thema lesen. Für mich sind die Künstler, nicht die Kunst, systemrelevant, was zugegebenermaßen nur eine Nuance, eine andere Gewichtung ist. Ich möchte gerne die Betroffenen fragen, wie sie mit der Situation zurechtkommen. Was ist wichtig geworden in der Zeit von Kontaktbeschränkungen, hat sich der Blick auf die eigene Arbeit verändert? Wie verändert uns dieser Ausnahmezustand …

Am Sonntag, dem 13.9., war ich auf AEG in Nürnberg unterwegs, auf langen, düsteren Fluren, vorbei an Türen mit Künstlerateliers dahinter. Ich treffe mich mit Julia Jobst, alias Ophelia Belladonna, die ich vor einigen Jahren bei einem gemeinsamen Freund kennenlernte. Damals berichtete er mir von ihrem Buch, „Noemi“, das Thema Magersucht in autobiografischen, aber auch fiktiven Szenen skizzierte.

Im Jahr 2020, mitten im Coronawahnsinn sitzen wir uns also in Julias Maleratelier gegenüber und ich fragte gleich als erstes, wie es ihr in den vergangenen Monaten so ergangen ist. Natürlich seien die Einnahmen gesunken, erklärt sich mir, da sie früher vor allem durch Ausstellungen Bilder verkaufen konnte und ihr auch die Künstlertreffs fehlten, in denen man Netzwerke pflegen könne. Erfreulicherweise habe sie auch eine bayerische Überbrückungshilfe erhalten, die aber auf die Dauer der Ausfälle gesehen, nur eine kleine Unterstützung gewesen sei, so Julia.

Man muss auch bedenken, dass diese Einmalhilfen nicht für Mietzahlungen oder Lebenshaltungskosten verwendet werden dürfen, sondern allein für Betriebskosten gedacht sind. Bei Kleinkünstlern dürften aber gerade Letztere die geringsten Kostenfaktoren darstellen. Ein Musiker mit Gitarre, ein Maler mit Pinseln und Farben oder ein Videofilmer mit Equipment haben ja meistens keine gewerblichen Räume angemietet, gerade um die Kosten niedrig zu halten. Meistens reichte es in der Vergangenheit gerade, um ein Auskommen zu erwirtschaften.

Julia hat seit einigen Jahren ein Atelier für ihre Malerei mit einem Künstlerkollegen zusammen angemietet, zu dem sie einige Zeit mit dem Zug unterwegs ist. Immerhin gibt es in dem alten Bürogebäude Toiletten, Strom und fließendes Wasser für Tee. Wir brühen uns gleich einen auf und schlürfen aus bunten Emailletassen vor uns hin.

Es gibt viel zu entdecken in dem Kreativchaos, ich schaue mir Bilder an, abstrakte und gegenständliche. Nur auf einer einzigen Arbeit scheint es eine männliche Figur zu geben, ein behörntes Fabelwesen. Ansonsten begegnen mir viele Alter Egos von Ophelia und da ich eine Fotografin mit Hang zu Inszenierungen bin, bitte ich Julia um eine Art Doppelporträt mit dem Werk, an dem sie momentan arbeitet (siehe Titelbild). Auf diesem sieht man eine Frau, die ein Herz in der Hand hält, und aus dem eine Pflanze wächst, vielleicht ein Baum aus Blutfontänen, auch eine Blume mit Dornen ist dabei und wiederkehrende Motive wie der Vogel und ein Schlüssel sind zu finden.

Hier zeigt sich eine Innenwelt, eine Art Traum, die symbolhaft eine Person darstellt, die das Herz ungeschützt vor sich herträgt. Wir müssen beide gar nicht so viel über Interpretationen sprechen, Julia hat schon sehr viel über sich, ihre Kunst und ihr Buch gesagt, außerdem muss man sich einfach auf ihre Gemälde und Grafiken einlassen, man muss nicht alles verstehen oder zu erklären versuchen.

Julia erzählt mir, dass ihre Bilder in langen Arbeitsphasen heraus entstehen, wo sie im Flow ist, weniger aus vorgefassten Konzepten. So sei ihre Mediengestalterausbildung eine Sackgasse gewesen, weil viel zu technisch und zu fremdbestimmt. Das Künstlerindividuum müsse sich ständig ausdrücken. Einige Zeit habe Julia aber auch eine Galerie in Nürnberg geführt und Auftragsarbeiten angenommen. Das sei sogar gut gelaufen, habe sich aber auf Dauer als Einzelinhaberin als zu anstrengend erwiesen.

Die Eingangsfrage, ob Kunst systemrelevant sei, ist für Julia einfach zu beantworten, es ist ihr eine innere Notwendigkeit und kein Virus könne dies aufhalten. Die Frage stellt sich dann, wie man die Umsatzausfälle kompensieren könnte. In der Gastronomie kellnern fällt mangels Jobangebote ja auch aus. Hier kommt es Julia zugute, dass sie schon seit einigen Jahren modelt, was in der Coronazeit zumindest im Freien möglich war. Viele Fotografen, ich eingeschlossen, haben nach langer Zeit der Shootingabstinenz wieder neue Ideen und geradezu einen Aufholbedarf nach fotografischen Projekten. Wer Interesse an einer Zusammenarbeit hat, kann sie unter dem Namen Ice Queen in der Modelkartei oder unter Ophelia Belladonna auf Insta kontaktieren. Auch über diesen Weg kann man „Noemi“ bei ihr direkt beziehen.

Wenn man dieser kulturarmen Zeit etwas Gutes abgewinnen will, so könnte man sagen, es sei eine Zeit der erzwungenen Entschleunigung gewesen. Anfänglich unfreiwillig, aber nach einer gewissen Zeit vielleicht sogar willkommen, konnte man doch darüber nachdenken, welche der üblichen, gewohnheitsmäßigen Aktivitäten wirklich wichtig sind, welche man vermisst hat, welche man nicht mehr wieder aufnehmen möchte. Es wird sich zeigen, wie lange unser Leben auf kleiner Flamme weiterbrennen soll und ich hoffe natürlich, dass es nur eine relativ kurze Periode sein wird.

Gerne hätte ich einen Blick in die anderen Ateliers geworfen, an denen wir auf dem Hinausweg vorbeigehen. Das Haus soll in absehbarer Zeit abgerissen werden, was wieder ein Stück Künstlerkultur ins Nirvana oder eigentlich in ein weiteres modernes Bürogebäude überführt.

Und für alle Kamera-Nerds hier noch meine Pentax 645D mit dem 55/2.8, mit der alle Bilder hier entstanden sind.