SUPERpixel vs. CameraMAN
Fotografierende Bildbearbeiter
Die Freunde des Photoshopbastelns brauchen ständig Material für ihre Compositings und Pixelschubsereien. Was liegt näher, als eine Digitalkamera neueren Datums zu zücken und auf alles zu halten, was nicht bei drei auf dem Baum ist? Heutzutage ist es auch kein Hexenwerk mehr, einen Chinablitz aufzustellen nebst Lichtformer und das fotografische Objekt vor einen einfarbig-neutralen Hintergrund zu platzieren. Vor nicht allzu langer Zeit war das die Domäne von Fotografenmeistern mit HWK-Mitgliedschaft und zudem mit erheblichen Investitionen verbunden.
Ein Bildbearbeiter kann im Prinzip überall fotografieren, wo das Licht ihm zusagt, also auch draußen bei wolkigem Himmel und danach tauscht er nach Herzenslust Hintergründe aus und fügt noch andere Gegenstände ins Bild ein, er komponiert, was das Zeug hält, gleicht Farbstiche aus oder fügt Farbigkeiten hinzu.
Manch einer rümpft darüber die Nase, ähneln die Bilder doch oft Gemälden, jedoch ohne Pinselstrich, eher künstlich-gepixelt, je nachdem wie arg es der Digital Artist übertrieben hat.
Bekanntester Vertreter dieser Zunft ist Calvin Hollywood, der mit seinen ausgetüftelten Bearbeitungstechniken noch aus jedem faden Bild ein interessantes Werk zaubern konnte und netterweise auch bereitwillig anderen zeigt, wie sie das auch so hinbekommen können. Calvins Blog
Selbstverständlich gehöre ich auch zu dieser Gattung der Computertäter. Fotografieren empfinde ich als anstrengend und schweißtreibend. Am liebsten unterhalte ich mich gemütlich kaffeetrinkend mit meinen Models und deren Begleitpersonen. Ich plane maximal zwei Shoots pro Tag und versuche, nicht länger als eine gute Stunde für jede Session aufzuwenden, da die besten Aufnahmen bei mir sowieso am Anfang entstehen, wenn ich noch voll konzentriert bin. Kaum füllt sich meine Karte mit Bildern, werde ich hibbelig und möchte zur Postproduktion schreiten, aber hurtig. Schnell alle Leute heimschicken und in den Fotoladen abtauchen.
Bildbearbeitende Fotografen
Ich verlasse also den mir bekannten Pfad als Dilettantin hinter der Kamera und blicke auf die andere Seite, die Menschen, die leidenschaftlich gerne unterwegs oder stundenlang mit wachsender Begeisterung im Studio fotografieren. Wer Peter Lindbergh kennt, weiß, der rennt auch noch im hohen Alter mit seiner Kamera durch Paris, zig Stunden lang. Wahnsinn!
Jay Maisel, der ebenfalls im fortgeschrittenen Alter noch tagelange Workshops zum Thema Street Photography gab (momentan pausiert), fetzt seit 60 Jahren durch Manhattan. Das muss man mal gesehen haben (es gibt ein Video-Porträt über Jay).
Was beiden Vollblutfotografen gemein ist, sind Angestellte, die den digitalen Workflow ab Fallenlassen der SD-Karte übernehmen. Dampfmaschinen wie Peter oder Jay kann man nicht stundenlang hinter einem Computerbildschirm Pixel zählen lassen.
Superman und/oder Batman
In der Schule gab es die Sportskanonen und die Tüftler, die Schach spielten. In der Medizin gibt es die durchgreifenden Skalpellkünstler und die Analytiker à la Dr. House. In der Fotografie gibt es die Fotografen und die Bildbearbeiter. Sicher ist es möglich, dass man beides gut kann, aber eines wird einem immer mehr liegen.
Jeder Bildbearbeiter, der fotografiert, ist gefordert, sich mit den fotografischen Realitäten auseinanderzusetzen, Studioblitze sorgfältiger ein-/aufstellen (ach, da nehme ich einen Spotstrahler auf einer Ebene mit Modus weiches Licht), dem Model erklären, worauf es beim Posing ankommt (hm, da verflüssige ich am Bildschirm ein bisschen), nur nicht hudeln!
Die andere Seite der Medaille
Wenn ich Bilder im Internet anschaue von bekennenden Photoshop-Abstinenzlern, finde ich gute Aufnahmen, denen irgendetwas fehlt, das gewisse Etwas, das es braucht, denn heutzutage geht man in der Fotoflut unter, wenn man nicht digital aufpeppt.
Wie Du selbst schreibst, fällt die Post bei den bekannten nicht selbst photoshoppenden Fotografen ja nicht weg, sondern es wird vom „Team“ übernommen. Daher haben Bilder von Lindbergh und co. eben doch das zusätzliche gewisse Etwas, was auch mir bei den meisten ooc Bildern fehlt.
Ich sehe da auch eine Art Nachbearbeitungsperfektionismus, denn mir ist bisher noch kein unbearbeitetes Bild vor die Nase gekommen, das man nicht durch ein bisserl Post noch verbessern könnte.
Trotzdem arbeite ich grade an einem „Preprocessing“ Artikel, sprich die Idee Kamera von vorne herein so einzustellen, dass ein fertiges Bild rauskommt.
Der Maßstab für Bilderrezeption ist ja das menschliche Auge. Leider haben die Sensoren in den Digitalkameras nicht den Kontrastumfang, den wir in der blauen Stunde wahrnehmen können.
Ich kenne nur wenige Situationen, in denen das Licht so perfekt ist, dass ich nichts mehr nachbearbeiten möchte, das sind wunderschöne Herbsttage oder auch High-Key-Ausleuchtung im Fotostudio, aber in den meisten Fällen ist die Lichtsituation suboptimal und man möchte nachhelfen (und wenn es nur in sw ist, das geht immer).
Ein gutes Bild benötigt heutzutage beides. Ohne vernünftig fotografiertes Ausgangsmaterial (dazu gehört auch die Location, Visa, Model usw.) wird auch in der EBV kein herausragendes Bild entstehen. Ebenso wird ohne Nachbearbeitung selbst das beste Foto in der Masse untergehen (es sei denn man hat sich bereits einen Namen gemacht). Der Mix aus beidem ist das entscheidende. Wie das Verhältnis zueinander ist, unterliegt dabei einzig und allein dem Geschmack des Bearbeitenden bzw. des Auftraggebers. Natürlich gibt es auch Bereiche der Fotografie in denen das nicht oder zumindest nicht so stark zutrifft oder zutreffen sollte (Doku, Produktfotografie, etc.).
Dieses Bild ist für mich ein Beispiel dafür, dass man ein durchschnittliches Bild digital aufpeppen kann:
https://www.facebook.com/photo.php?fbid=109561319439074&set=pcb.917071335072309&type=3&theater