
Anonyme Workshopholiker
Deutschland, Anfang Januar 2017. Ein Mini Cooper in Schmutzmetallic pflügt sich durch den Schneematsch auf der Autobahn südlich gen Unterhaching. Das Verkehrsleitsystem empfiehlt eine Spitzengeschwindigkeit von 80 km/h, rechts auf der Standspur liegt ein verunfalltes Auto auf dem Dach, doch der Blick der Desperado-Fotografin am Steuer ist starr durch die Windschutzscheibe auf das Schneetreiben vor ihren Augen gerichtet. „Werde ich rechtzeitig ankommen?“ ist ihr einziger Gedanke, denn ihr Ziel ist der Mittelpunkt des Workshop-Paralleluniversums von Stefan Gesell (fotosym.de).
Unbedarften Lesern sei es erlaubt zu glauben, dass es bessere Orte gäbe, an denen man sich an einem Sonntag um 6.30 Uhr aufhalten könne als im Schneesturm, man denke spontan an ein Wasserbett oder den auf 40° geheizten Whirlpool unweit davon. Aber ein rechter Workshopholiker lächelt verächtlich jegliche Bedenken hinweg.
Kaum etwas über 3 Stunden später dann Check-in im Vorraum der Therapiegruppe, es wird Kaffee mit einem 600-Kalorien-Hörnchen gereicht, ein 1-kg-Nutella-Glas ist immer in Reichweite. Die ersten Rauchschwaden umhüllen zärtlich die nach und nach eintrudelnden Behandlungsbedürftigen.
Stefan Gesell, eine Art moderner Sigmund Freud der Surreal Art, durch viele Workshopabsagen ergraut, mit Psychologenbart, stimmt die wackere Runde väterlich auf das Programm des Workshops ein: 5 Aktmodelle, 5 Schachteln Marlboro (aktiv oder passiv geraucht – egal), 5.000 Kalorien aus vorwiegend Zucker und Fett. Wir lauschen ehrfürchtig dem Motto des Tages: „Du brauchst kein schönes Netz, um Fische zu fangen“.
Ein Blick auf die kleine Herde ausnehmend bildhübscher Models offenbart, dass mit dem hässlichen Fischfanggerät wir Fotografen gemeint sind. Aber das macht uns nichts aus, freudig erregt schwärmen wir hinein in den Gruppenraum, darin eine Recamière und diverse Therapiegeräte auf uns warten. Während wir uns als anonyme Workshopholiker austauschen und fotografieren, bereitet die Gastgeberin draußen leckere Frühlingsrollen und Hühnernudeln à la Pad Thai vor. Nach dem Mittagessen ist der rote Diwan belegt mit glücklich Verdauenden, der Kaffee- und Colaverbrauch steigt exponentiell an.
Wer gedacht hat, dass er nur seelisch gestreichelt wird, hat sich getäuscht, der gestrenge Workshopleiter fordert von den Teinehmern sich einzubringen, Menschen, die mit einem Aktmodell fast schon überfordert sind, sollen nun eine Installation aus derer drei machen. Tapfer machen wir uns ans Werk (siehe Beitragsbild). Ich bin daraufhin etwas zittrig, wahrscheinlich unterzuckert, und esse Zitronenkuchen. Erst nach einer zusätzlichen Himbeersahneschnitte fühle ich mich wieder etwas gestärkt.
Der Aktworkshop steuert auf seinen Höhepunkt zu, Surreal Art à la Gesell mit Model KC, die Posings vollbringt, wie man sie eigentlich noch nirgends gesehen hat, wahrscheinlich weil sie in Wirklichkeit gar nicht machbar wären. Kollegin Rassamee sucht noch ein paar schmerzhaft aussehende yogaähnliche Positionen aus den Tiefen ihrer Smartphone-Galerien heraus – fast meinte ich einen kleinen Hauch von Sadismus über ihr Gesicht huschen zu sehen, doch ich täuschte mich sicherlich. Während sich die Verrenkungskünstlerin am Morgen danach vermutlich mit Muskelkater konfrontiert sah, vermeldetete die Waage der Schreiberin dieser Zeilen ein sattes Plus auf der Habenseite.
Wenn ich schnöde gegenrechnen wollte, was ich für 199 Euro Workshop bekommen habe, sähe die Aufstellung so aus:
Frühstück – 15 Euro
Mittagessen – 30 Euro
Desserts – 8 Euro
5 Models – 700 Euro
Yogastellungen von KC lernen – 150 Euro
Lebensweisheiten Stefan Gesell – 97 Euro
Nette Kollegen kennenlernen – unbezahlbar!
Macht immerhin summa summarum: 1.000 Euro! Das gibt es sonst nirgends. Umgelegt auf den Nährwertgehalt der gereichten Speisen, ergibt sich damit das weltbeste Preis-Kalorienverhältnis, wenn man das Nutellaglas mit in die Berechnungen einbezieht.
Also macht Euch auf nach Unterhaching in die Katakomben des coolsten zeitgenössischen Künstlers der Digital Art und lasst Euch verzaubern.
wie wahr! super geschrieben!
Genau so ist es … na sagen wir mal … fast, ist es so!
Manchmal sind auch nur 4 oder 3 Models da und der Speiseplan ändert sich!
Ich bin einer der SG-Süchtigen und kann das beurteilen.
Jedem, der sich auf dieses Abenteuer einlässt sollten die Gefahren klar sein:
1. Kontrollverlust über die freie Zeit, da viele Fotos zu bearbeiten sind
2. Folgen im sozialen Umfeld – zBsp. Neid in Sozialen Netzwerken und Fotoportalen
3. Folgen im psychischen Bereich – zBsp. Übermüdung durch nächtelange Bildbearbeitung und Tagträume von den Models
4. Folgen im Körperlichen Bereich – zBsp. Krämpfe in der Hand durch Multimillionen von Klicks mit der Maus
5. Folgen im Fiskalbereich – Geldknappheit
Aber all den Gefahren steht folgendes gegenüber:
Freude am Hobby, Wissensfortschritt, Weiterentwicklung, Freunde im Denken, Kreative Bilder als Teil des künstlerischen Schaffens und bei einigen Künstlern auch Erfolge bei Wettbewerben, neue Aufträge und ein neuer Beruf
Ich habe wieder gebucht, denn ich bin SG-süchtig!
Und das ist gut so!
Frei nach dem Stefan Gesell Motto:
„We do what we like and we like what we do!“
Roy Lemme
WORD!!!!! 😉
Jetzt weiss ich wenigstens, warum ich so viel zugenommen habe, set ich regelmäßig bei Stefan bin … ggg
Super geschrieben, Kompliment und GlG,
Sabine